Noch bis Mitte des letzten Jahrhunderts haben sich die meisten Familien einen männlichen Stammhalter gewünscht. Diese Präferenz hat sich inzwischen leicht verschoben. Laut einer Umfrage des «Tages-Anzeigers» bevorzugen werdende Eltern in der Schweiz heute sogar eher ein Mädchen (41 Prozent), und bloss 22 Prozent hätten gerne einen Buben. Den restlichen 37 Prozent der Befragten war das Geschlecht des Kindes egal.
Organultraschall gibt Gewissheit
Manchmal sei das Geschlecht schon um die 12. Schwangerschafts- woche herum zu erkennen, sagt Leonhard Schäffer. Auch pränatale Tests könnten bereits im ersten Trimester Hinweise geben. In den meisten Fällen erkennen Ärzte das Geschlecht des Kindes mit grosser Sicherheit aber erst nach der 14. Schwangerschaftswoche. Vorher seien die Schamlippen noch sehr ausgeprägt und könnten leicht mit einem Penis verwechselt werden, erläutert Schäffer. Sicherheit bestehe in den meisten Fällen nach dem Organultraschall in der 20. Schwangerschaftswoche.
Ärzte dürfen die Eltern übrigens erst nach Vollendung der 12. Schwangerschaftswoche informieren, selbst wenn sie sich vorher schon sicher seien und die meisten Eltern ungeduldig seien. «Das soll verhindern, dass ein Kind aufgrund seines Geschlechts im Rahmen der Fristenlösung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen abgetrieben wird», erklärt Schäffer diese Praxis.
«Enttäuschung» über das Geschlecht
Schäffer ist selbst Vater dreier Buben. Er habe es bisher nur selten erlebt, dass Eltern ob des Geschlechts ihres künftigen Kindes enttäuscht seien. Es sei aber verständlich, dass manche Eltern spontan betrübt seien, wenn sie bereits mehrere Kinder mit dem gleichen Geschlecht hätten. Dabei steht ja keineswegs fest, dass ein Kind den jeweiligen Geschlechtsstereotypen entsprechen wird. Der Sohn macht sich vielleicht nichts aus Fussball, die Tochter dagegen umso mehr.
Falls in seltenen Fällen tatsächlich die Enttäuschung über das Geschlecht langfristig grösser ist als die Freude auf das Baby, sollte man sich therapeutische Hilfe holen. Wenn Eltern ihr Kind nach der Geburt nicht richtig annehmen können, liegt unter Umständen eine postnatale Depression vor. In solchen Fällen sollte man unbedingt mit der Hebamme, der Gynäkologin oder dem Arzt sprechen.
Die Kombination macht den Unterschied
Ob es ein Mädchen oder ein Bub wird, entscheidet sich bei der Befruchtung der weiblichen Eizelle – wenn Eizelle und Spermium verschmelzen. Je nach Chromosomen entwickelt sich ein weiblicher oder ein männlicher Embryo. Chromosomen sind Bestandteile der Zellen, die Erbinformationen speichern. Eizellen besitzen immer ein X-Chromosom. Spermien enthalten X- oder Y-Chromosomen. Treffen zwei X-Chromosomen aufeinander, gibt es ein Mädchen. Kommt ein Y-Chromosom hinzu, entwickelt sich ein männlicher Embryo.
Verschiedene Faktoren können das Geschlecht des Babys beeinflussen. Ist die Mutter über 35 und der Vater über 40 Jahre alt, ist ein Mädchen wahrscheinlicher. Bei der Frau bildet sich dann mehr eines bestimmten Hormons, das weibliche Embryos begünstigt. Und der Mann produziert, je älter er wird, weniger männliche Spermien. In Krisenzeiten wie Hungersnöten – aber auch bei einem schädlichen Lebensstil der Mutter – werden ebenfalls mehr Mädchen geboren. Der Grund:Männliche Embryonen reagieren empfindlicher als weibliche und überleben nicht.
Gender und Geschlecht sind nicht dasselbe
Die englische Sprache unterscheidet zwischen dem biologischen Geschlecht «sex» und dem grammatischen Geschlecht «gender». Ersteres beschreibt das biologische Geschlecht nach Merkmalen wie Vulva, Gebärmutter oder Penis und unterscheidet in weiblich und männlich. Gender hingegen bezeichnet die Geschlechtsidentität und die Geschlechterrollen – wie man sich mit den Rollen als Frau oder Mann identifiziert. Diese Unterscheidung trennt das rein biologische Geschlecht, also männlich oder weiblich, vom sozialen Geschlecht.
Auch am KSB haben die Buben die Nase vorn
In den Industriestaaten liegt die Wahrscheinlichkeit, einen Knaben zu bekommen, minimal höher als für Mädchen. In der Schweiz etwa wurden im letzten Jahr 43 687 Buben (51 Prozent) und 41 566 Mädchen (49 Prozent) geboren. Zum Zeitpunkt der Empfängnis liegt die Wahrscheinlichkeit noch bei je 50 Prozent. Weil während der Schwangerschaft aber mehr weibliche als männliche Embryos im Mutterleib sterben, kommt es bei den Geburten zu einem leichten Knabenüberschuss.
Diese Tendenz bestätigen auch die Geburtszahlen am KSB:
2018 kamen in Baden 841 Knaben und 766 Mädchen zur Welt. Bei den Buben gab es hier besonders oft einen kleinen Leon, Liam oder Diego, bei den Mädchen führten Mia, Alea und Elina die Namens-Hitliste an.
Tex: Vivien Wassermann • Geprüft von: Leonhard Schäffer, Chefarzt Geburtshilfe