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Die Orthopädie nimmt nichts auf die leichte Schulter

22. September 2025

Seit mehr als 30 Jahren steht Prof. Dr. Karim Eid am OP-Tisch. Er hat einiges erlebt, viel gesehen und noch mehr operiert. Drei besondere Fälle vergisst der Schulterexperte aber nie.

Die stille Bedrohung: Nekrotisierende Fasziitis

Der Anruf kam aus dem Notfall. Prof. Karim Eid sollte dringend in den Schockraum kommen. Dort lag eine 55-jährige Patientin – kreislaufinstabil und wegen einer vermeintlichen Schleimbeutelentzündung im Ellbogen im KSB vorstellig. Zunächst Rätselraten. Dann vermutete der Chefarzt gemeinsam mit seinem Oberarzt bei der Frau, die an einer rheumatischen Erkrankung litt und immunsupprimierende Medikamente einnahm, eine nekrotisierende Fasziitis. Also eine seltene, aber hochgefährliche bakterielle Weichteilinfektion. «Die Infektion verläuft entlang der Faszien wie auf einer Autobahn», erklärt Eid: «Diese Autobahn muss man vollständig herausschneiden, sonst führt sie zum Tod.» 

Die Parameter des Bluttests stützten die Einschätzung von Karim Eid. «Ihr Entzündungswert war bei 300 – ein Extremwert. Wir mussten sofort handeln.» Das Problem: MRI- und CT-Aufnahmen ermöglichen keine verlässliche Diagnose. Noch am selben Tag wurde die 55-Jährige zweimal operiert, insgesamt waren zehn Eingriffe nötig, um die zerstörten Gewebeschichten entlang der rechten oberen Extremität bis zum Thorax abzutragen. 

«Wir mussten diese Schichten wie die weisse Haut einer Orange wegschneiden», erzählt Eid. Kein leichtes Unterfangen: «Die an sich durchsichtigen Faszien sahen aus wie ein schwarzes Spinnennetz aus Thromben. Alles musste raus, um zum einen den Arm und zum anderen das Leben der Patientin zu retten.» Denn die Mortalitätsrate ist hoch. Nur 50 Prozent der Patienten überleben. Dank des guten Zusammenspiels aus Orthopädie, Anästhesie, Infektiologie und Intensivpflege konnte die Frau gerettet werden. 

Um noch die Nerven und Gefässe, die frei lagen, zu schützen, wurde zudem ein Transfer des Bizepsmuskels vorgenommen. Heute kann die Patientin ihren Arm wieder zu 95 Prozent einsetzen. «Das Narbengewebe, das wie Verbrennungen aussieht, stört sie nicht», sagt Eid: «Sie ist dankbar, dass sie überlebt hat.»

Schulter

Ein neuer Ellbogen, ein neues Leben

Mehrfach operiert, jedes Mal schlechter geworden – so kam eine Patientin mit einem instabilen Ellbogen ins KSB. «Nach einem Sturz aus drei bis vier Metern hatte sie sich 2019 das Gelenk erheblich verletzt. Im Ausland war sie viermal operiert worden! Leider wurde mehr beschädigt als repariert. Sie hatte nun einen sogenannten «Floppy Arm»», erzählt Karim Eid. Der Arm hing nutzlos an der Schulter. Ohne Bewegung, ohne Kraft. Essen? Anziehen? Haare kämmen? Alles unmöglich. «Sie war Mitte 50, hochmotiviert, aber komplett eingeschränkt. Da war für uns klar: Das geht besser.» Die Lösung: eine Ellbogenprothese aus Titan. 

Dank einer neuen OP-Technik, bei der die Muskulatur nicht abgelöst werden muss, konnte in einem der neuen OP-Säle im KSB-Neubau die Prothese eingesetzt werden. «Früher musste man den Trizeps abtrennen, um an dieses Scharniergelenk zu gelangen. Heute klappt das über eine Aussendrehung des Unterarms. Das sieht seltsam aus, ist aber extrem schonend», sagt Prof. Karim Eid. Auch der betroffene Nerv musste in der dreistündigen OP freigelegt – oder wie es der Chefarzt nennt: «ausgebuddelt» – werden. 

Das Ergebnis: Bereits am ersten Tag konnte die Patientin ihren Arm wieder bewegen, nach fünf Tagen das KSB verlassen. «Sie kann sich wieder kämmen, sich anziehen, essen. Sie lebt wieder mit ihrem Ellbogen.» Und die oft genannten Einschränkungen? Die sind kein Problem. Karim Eid: «Früher hiess es: Die Patienten sollten nicht mehr als fünf Kilogramm mit dieser Prothese heben. Heute wissen wir, dass sich daran niemand hält – und die Prothesen trotzdem halten.» Mit der Zeit könnten Lockerungen auftreten, aber die modernen Materialien und Zemente zum Fixieren seien deutlich haltbarer als früher. Und eines hat dieser Fall Karim Eid gezeigt: «In der Schweiz wäre die Frau nicht viermal falsch operiert worden. Ausgeschlossen!»

Prof. Dr. med. Karim Eid

Schulterschmerzen – reine Nervensache

Sie hatte keine Geduld mehr. Vier Jahre lang litt die 42-jährige Patientin unter starken Schulterschmerzen. Die Diagnose: Arthrose im Schultereckgelenk (AC-Gelenk). Doch keine der bisherigen Behandlungen brachte ihr eine dauerhafte Linderung – weder Cortisonspritzen noch die Operation, bei der ein Teil des Schultereckgelenks entfernt wurde. An Schlafen auf der Seite war für sie nicht zu denken – es war die reinste Qual. Ihre Lebensqualität war massiv eingeschränkt. «Die herkömmlichen Methoden reichten in ihrem Fall nicht aus», sagt der Chefarzt der Orthopädie.

Gemeinsam mit der Anästhesie wagte er etwas Neues: eine Radiofrequenzablation am AC-Gelenk. Dabei wurde unter Lokalanästhesie eine Nadel exakt an die schmerzleitenden Nervenäste gesetzt, auf 60 Grad erhitzt und gleichzeitig durch Wasserkühlung kontrolliert. Die Temperatur wurde in zwei Zyklen à fünf Minuten gehalten – präzise und gezielt. «Das Ziel war es, den Nerv zu veröden, der die Schmerzsignale überträgt, ohne dabei das umliegende Gewebe zu schädigen», erklärt Eid. 

Das KSB ist bislang das einzige Spital in der Schweiz, das diese Technik angewandt hat. Mehr noch: Mittlerweile wurde die Methode bei 20 Patientinnen und Patienten durchgeführt – bei rund der Hälfte mit gutem Erfolg. Wie eben bei der 42 Jahre alten Patientin. «Bei der Nachkontrolle nach drei Monaten sagte sie mir, dass sie zum ersten Mal seit vier Jahren wieder auf der Seite schlafen konnte», erinnert sich Karim Eid mit einem Lächeln im Gesicht. Sein Ziel ist es deshalb, die Methode zu verfeinern und herauszufinden, welche Patienten davon besonders profitieren.

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