Herr Hefermehl, was bedeutet für Sie Spitzenmedizin in der Urologie?
Spitzenmedizin beginnt für mich nicht nur mit Lasern und Robotern, sondern auch mit Haltung. Natürlich haben wir heute technische Möglichkeiten, die vor wenigen Jahren undenkbar waren. Entscheidend ist aber, wie wir sie einsetzen: im Team, im Interesse der Patientinnen und Patienten, interdisziplinär abgestimmt und mit viel Sorgfalt. Das war im Altbau des KSB schon so, doch der Neubau hat uns einen grossen Schritt weitergebracht – räumlich, technisch und logistisch. Wir haben nun die modernsten Geräte, und die Infrastruktur rund um den Patienten ist ebenfalls besser.
Also nicht nur neue Wände, sondern auch bessere Medizin.
Genau. Der Neubau schafft ideale Bedingungen, aber entscheidend ist, was wir daraus machen. Spitzenmedizin entsteht dann, wenn moderne Technik auf exzellent ausgebildetes Personal trifft. Das KSB hat sich hier bewusst weiterentwickelt: Wir verfügen über modernste Bildgebung, robotische Chirurgie, ein erfahrenes onkologisches Team und den Anspruch, uns laufend zu verbessern.

Wie hat sich Ihre Arbeit in den vergangenen Jahren verändert?
Wir machen heute das, was vor zehn Jahren unmöglich war. Wir arbeiten mit hochauflösender Bildgebung wie PET-CT, führen gezielte Biopsien durch und nutzen minimalinvasive OP-Techniken. Diagnostik und Therapie sind deutlich präziser geworden – etwa bei Prostatakarzinomen oder Harnblasentumoren.
Apropos Blase: Das KSB hat einen Auftrag im Bereich der Hochspezialisierten Medizin (HSM) für deren Entfernung. Was bedeutet das?
Die Entfernung der Harnblase ist ein komplexer Eingriff. Dass wir den HSM-Auftrag dafür erhalten haben, zeigt, dass wir die Anforderungen an Qualität, Erfahrung und Struktur erfüllen. Wir führen diese Operation vollständig robotergestützt mit dem Da-Vinci-System durch – das ist für die Patientinnen und Patienten weniger belastend, geht mit einem kürzeren Spitalaufenthalt einher und ermöglicht eine schnellere Erholung.
Wie muss man sich das vorstellen?
Früher bedeutete dieser Eingriff einen grossen Bauchschnitt. Heute machen wir das mit dem Da-Vinci-Roboter minimalinvasiv durch kleine Zugänge. Und wenn wir eine sogenannte Neoblase rekonstruieren, nutzen wir dafür ein Stück körpereigenen Dünndarms, das wir an die Harnröhre anschliessen. So können viele Betroffene wieder ohne Einschränkungen leben. Das ist technisch anspruchsvoll und medizinisch sowie emotional ein grosser Fortschritt.
Fortschritt entsteht auch durch Forschung. Sie haben eine Art Saugglocke für die Nierentumor-OP erfunden und patentieren lassen.
Die Idee entstand aus dem OP-Alltag: Tumore lassen sich oft schlecht greifen, ohne sie zu quetschen. Unsere Saugglocke funktioniert wie ein Vakuumhalter – sie fixiert den Tumor, sodass wir präziser und schonender operieren können. Aktuell laufen Tests in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und Partnern aus Forschung und Industrie, damit wir sie hoffentlich bald bei den betroffenen Patienten einsetzen können.
Wie wichtig ist Forschung für Sie im Alltag?
Ich sehe sie als Möglichkeit, mein Handeln zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Natürlich bleibt im Klinikalltag nicht immer viel Zeit, aber ich engagiere mich in Projekten, leite Studien und arbeite mit Forschungspartnern zusammen. Das ist für mich ein zentraler Teil meines beruflichen Selbstverständnisses.

«Wir machen das, was vor zehn Jahren unmöglich war.»
Chefarzt Urologie
Kommen wir zur Prostata-Vorsorge: Viele Männer drücken sich davor. Warum?
Da schwingen Mythen mit. Das Bild vom «grossen Finger» ist immer noch präsent, dabei ist diese Untersuchung oft gar nicht mehr nötig. Viel wichtiger ist heute der PSA-Wert aus dem Blut. Diese Untersuchung ist unkompliziert, aussagekräftig und frühzeitig einsetzbar.
Dennoch gibt es Kritik an der Prostata-Vorsorge. Wissenschaftsjournalist Frank Wittig bezeichnete sie als «medizinischen Unsinn».
Solche Aussagen basieren meist auf alten Daten. Zwar haben frühe Studien keinen klaren Nutzen gezeigt, doch Langzeituntersuchungen belegen inzwischen eindeutig: Gezielte PSA-Tests im Blut senken die Sterblichkeit. Deshalb empfiehlt auch die EU ein Screening ab 50 Jahren – bei familiärer Vorbelastung bereits ab 45.
Wie erkennt man, wer behandelt werden muss?
Dank besserer Daten gehen wir heute sehr selektiv vor. Viele Prostatakarzinome wachsen äusserst langsam. Bei wenig aggressiven Tumoren setzen wir auf aktive Überwachung. Wir kontrollieren regelmässig – aber greifen nur ein, wenn es nötig wird. Das schützt die Lebensqualität und ist inzwischen der Goldstandard. Auch bei der Gewebeentnahme hat sich viel getan. Früher hat man Biopsien «blind» genommen – heute führen wir sie mit Fusionsbiopsie, also unter moderner Bildgebung wie MRI, punktgenau durch. Das erhöht die Sicherheit und reduziert unnötige Eingriffe.
Gibt es Risikofaktoren, die Prostatakarzinome begünstigen?
Die Genetik steht an erster Stelle. Auch Bewegungsmangel und Übergewicht könnten eine Rolle spielen. Relativ unklar ist, was eine Prostataerkrankung vorbeugt.
Häufig hört man, häufige Ejakulationen würden das Risiko senken.
(lacht) Ich kenne dazu keine verlässlichen Studien.
Urologie betrifft nicht nur Männer. Wie oft behandeln Sie zum Beispiel Nierensteine?
Täglich. Wir haben bis zu vier Operationen pro Tag. Die endoskopischen Verfahren haben sich extrem verbessert. Die klassische Stosswellentherapie ist zwar noch bekannt, wird aber seltener genutzt. Wir können mit dem Laser heute sehr präzise und schonend arbeiten.
Gab es Momente, die Sie besonders berührt haben?
Oh ja, einige. Besonders erinnere ich mich an die ersten Patienten, bei denen wir eine robotergestützte Neoblase nach einem neuen Verfahren implantiert haben. Die OP war komplex, aber der Verlauf beeindruckend.
Wie gehen Sie emotional mit schweren Schicksalen um?
Auch nach vielen Jahren berühren mich solche Geschichten. Es gehört für mich zum Arzt sein dazu, nicht abzustumpfen, sondern mitzufühlen.
Würden Sie heute nochmals denselben Beruf wählen?
Ohne zu zögern. Für mich ist es ein grosses Privileg, Menschen medizinisch zu begleiten – mit Fachwissen, Empathie und Neugier. Ich würde den Weg sofort wieder gehen.
Zur Person:
PD Dr. med. Lukas Hefermehl ist seit 2022 Chefarzt der Urologie am KSB. Nach dem Medizinstudium in Bern spezialisierte er sich in Zürich, Luzern und München auf operative Uroonkologie – mit Fokus auf roboterassistierte Tumorchirurgie. 2012 erhielt er den Facharzttitel für Urologie, 2019 folgte die Habilitation an der Universität Zürich. Privat tankt er Energie im Limmattal – am liebsten mit seiner Frau und den zwei Kindern.
Text: Simon David • Geprüft von: PD Dr. Lukas Hefermehl, Chefarzt Urologie