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«Das RS-Virus kann der Kinderlunge stark zusetzen»

6. Juni 2024

Winterzeit, Erkältungszeit: Vor allem die Kleinsten sind derzeit von Atemwegserkrankungen betroffen – teils mit erheblichen Folgen für deren Lungen. Schuld daran ist das RS-Virus. Aber nicht nur, wie der Leiter der Kinderpneumologie des Kantonsspitals Baden (KSB), Leo Thanikkel, im Gespräch verrät. Zudem erklärt der Lungenspezialist, was es mit Asthma bei Kindern auf sich hat.

Herr Thanikkel, die nächste Erkältungswelle rollt über den Kanton Aargau. Sind die Auswirkungen in der Kinderpneumologie im KSB zu spüren?

Eine Grippewelle betrifft zunächst die pädiatrischen Stationen und den Notfall. So haben wir schon erlebt, dass in der Hochphase dieser Wellen in der gesamten Schweiz zwischenzeitlich keine Betten mehr auf den Kinderstationen frei waren und Kinder mitunter verlegt werden mussten. Wir in der Kinderpneumologie bekommen eher die Nachwirkungen dieser akuten Erkrankungen zu spüren – wenn Kinder nach einer Grippe wiederholt krank werden oder wenn Kinder unter sechs Monaten schwere Probleme aufgrund einer RSV-Infektion haben.

Sie sprechen das Respiratorische Synzytial-Virus an. Es ist derzeit in aller Munde. Fast zwei Prozent der an RSV erkrankten Kinder werden hospitalisiert. Welche Kinder sind davon betroffen?

Einen schweren Krankheitsverlauf können Kinder mit einem angeborenen Herzfehler oder mit Immundefekten haben. Zur vulnerablen Gruppe zählen auch Frühgeborene. Das Problem liegt darin, dass das Virus die Lunge angreift, die bei Kindern in der Entwicklung ist und noch ausreift.

Deshalb ist das RS-Virus für kleine Kinderlungen gefährlich.

Genau, die Symptome können den geschwächten Kindern aufgrund des Entwicklungsstandes der Lunge erheblich zusetzen: So schwellen die Schleimhäute über das Mass an, es bildet sich Sekret, das vom Körper schlecht abgeführt wird, und die Lungenröhrchen verengen sich. Die Folge sind Atemnot und dadurch ungenügende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme bei den betroffenen Kindern.

«Wenn ein chronischer Husten vorliegt, der länger als sechs Wochen dauert, sollte man zum Lungenarzt.»

Dr. Leo Thanikkel

Stv. Leitender Arzt Kinder- & Jugendmedizin

Welche Langzeitschäden können durch die schweren Atemwegsinfekte entstehen?

Beim überwiegenden Teil der jungen Patienten, die eine Erkrankung mit dem RS-Virus hatten, bleibt nach Abklingen der akuten Symptome nichts zurück. Bei wenigen hält sich noch ein trockener Husten über eine längere Zeit. Bei ganz wenigen stellen wir fest, dass ein Giemen, also ein hörbares Atemnebengeräusch wie Pfeifen, bleibt. Wir können nach Stand der Forschung aber nicht sagen, ob das RS-Virus Asthma direkt verursacht, derzeit gibt es nur Hinweise, dass das RS-Virus im Säuglingsalter mit einem vermehrten Risiko eines Asthma bronchiales assoziiert ist.

Wie sieht es mit einer Impfung gegen das RS-Virus aus?

Hier gibt es verschiedene Entwicklungen. Eine passive Mehrfach-Impfung mit Antikörpern existiert bereits. Sie ist für Risikopersonen gedacht, muss monatlich gespritzt werden und ist sehr teuer. In den USA und der Europäischen Union gibt es seit einiger Zeit eine RSV-Impfung für über 65-Jährige, Schwangere und eine passive Einfach-Impfung für Säuglinge. In der Schweiz hat die Arzneimittelbehörde Swissmedic am 22. Dezember 2023 die passive Einfach-Impfung für Säuglinge gegen das RSV zugelassen. Ob eine Verfügbarkeit für die Saison 2024/25 möglich sein wird, hängt stark von den Diskussionen zur Kostenerstattung mit dem Bundesamt für Gesundheit BAG ab. Falls die Kostenerstattung durch das BAG geklärt und die Impfung auf dem Markt ist, rechnen wir damit, dass durch die Verabreichung des Medikaments die RSV-Fallzahlen nach unten gehen und sich die Hospitalisierungen reduzieren.

Kinderpneumo

Dr. med. univ. Leo Thanikkel

Leo Thanikkel arbeitet seit Juli 2023 als stellvertretender Leitender Arzt Kinder- & Jugendmedizin des Kantonsspitals Baden (KSB). Der Österreicher leitet seither die am KSB neu geschaffene Kinderpneumologie. Zuvor war er am Kinderspital in Zürich tätig. Seine Ausbildung in Pädiatrie machte Thanikkel, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern bei Birmensdorf im Kanton Zürich lebt, in Cambridge und London (England).

Dennoch stellen sich Eltern die Frage, ab wann sie mit ihren Kindern ins Spital müssen?

In erster Linie sind die Kinderärzte die richtigen Ansprechpartner. Sollten sie nicht erreichbar sein, dann empfiehlt sich das Spital aufzusuchen, wenn ihr Kind eine erhöhte Atemfrequenz hat, Atemgeräusche zu hören sind oder die Atmung nur mit Anstrengung funktioniert. Aber auch, wenn sich die Haut beim Atmen unterhalb des Kehlkopfs oder zwischen den Rippen einzieht.

Und zu welchem Zeitpunkt sind Eltern mit ihren Kindern bei Ihnen in der Kinderpneumologie an der richtigen Stelle?

Ein Lungenarzt sollte sich das Kind anschauen, wenn ein chronischer Husten vorliegt, der länger als sechs Wochen dauert. Oder wenn das Kind nach Infekten Unterstützung bei der Atmung in Form von Sauerstoff braucht. Ein Kind sollte bei Leistungsanstrengungen keine Atemprobleme haben. Eltern sind mit ihren Kindern bei uns auch richtig, wenn ein Kind zusätzliche Atemgeräusche wie Pfeifen oder Keuchen, Schlafatemstörungen oder im Schlaf Atempausen hat. Und wenn ein Kind wiederholt Lungenentzündungen durchmacht.

Leo Thanikkel Portrait

«Wenn Eltern an Asthma leiden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es die Kinder auch haben.»

Dr. Leo Thanikkel

Stv. Leitender Arzt Kinder- & Jugendmedizin des KSB

Im November und Dezember wurde China von einer Welle an Atemwegserkrankungen heimgesucht. Vor allem jüngere Patienten waren betroffen, die Spitäler überfüllt. Müssen wir uns Sorgen machen, dass da etwas zeitverzögert in die Schweiz schwappt?

Am Anfang bestand die Sorge, dass es sich um ein neues Virus handeln könnte. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass RS-Viren, Grippeviren und Mykoplasmen die vielen Erkrankungen in China hervorgerufen haben. Diese Welle ist bei uns bereits in den November-Wochen gewesen. In der Schweiz gehen wir nun davon aus, dass das RSV nun von der Grippe abgelöst wird.

Lassen Sie uns über Asthma bronchiale sprechen. Fast jedes zehnte Kind in der Schweiz leidet unter dieser chronischen Krankheit. Wie erkenne ich, dass mein Kind Asthma hat?

Ihr gesundes Kind sollte weder nachts noch beim Rennen oder Spielen ständig trocken husten. Auffällig wäre auch, wenn Ihr Kind im gesunden Zustand bei Ausdauersport deutlich mehr Pausen benötigt als andere und wenn es dabei schwer atmet oder Atemnot hat. Ein Pfeifen beim Ausatmen wäre auch ein Indiz.

Kinderpneumologie am Kantonsspital Baden

Die kinderpneumologische Sprechstunde betreut Säuglinge, Kinder und Jugendliche mit angeborenen und erworbenen Atemwegserkrankungen. Dabei bieten wir Standardabklärungen an und arbeiten mit verschiedenen Fachspezialisten der Klinik für Kinder und Jugendliche und anderen Kliniken des KSB zusammen.

Typische kinderpneumologische Störungen sind:

Zur Kinderpneumologie
Was sind die Risikofaktoren für Asthma?

Die Hauptfaktoren sind Heuschnupfen und Allergien, Frühgeburtlichkeit oder die Genetik. Wenn Eltern an Asthma leiden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es die Kinder auch haben. Und natürlich ist Passivrauchen als Risikofaktor zu nennen.

Das sollte doch allen Eltern klar sein.

Ist es leider nicht. Viele unterschätzen, wie schädlich passiver Zigarettenrauch für Säuglinge und Kleinkinder ist. Da reicht es übrigens nicht, wenn Vater oder Mutter nur im Freien, zum Beispiel auf der Terrasse oder dem Balkon, rauchen. Denn über die Kleidung und die Haut werden die schadhaften Partikel ebenfalls ans Kind übertragen und gelangen auch in die Lunge.

Die Diagnosemöglichkeiten bei Asthma und deren Behandlung sind heute viel besser. Auch dank Ihrer Arbeit. Worin liegen die Vorteile der Sprechstunde in der Kinderpneumologie am KSB?

Seit Juli 2023 gibt es die kinderpneumologische Sprechstunde im KSB. Ziel ist es, die Haus- und Kinderärzte bei der Diagnosestellung und Betreuung der kleinen Patienten zu unterstützen. Nach den neuesten Methoden und Richtlinien diagnostizieren wir alle häufigen Lungenkrankheiten. Schliesslich sollte eine Asthma-Diagnose nicht, wie früher üblich, nur nach Symptomen oder deren Verbesserungen nach Therapieversuchen festgestellt werden, sondern anhand der Ergebnisse von objektiven Tests. Wir können mit unserer Ausstattung genau diese – wie etwa eine ausführliche Lungenfunktionsuntersuchung – durchführen und damit eine passende Therapie ermöglichen.


Simon David • Geprüft von: Leo Thanikkel, Stv. Leitender Arzt Kinder- & Jugendmedizin des KSB

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