«Sie können ruhig einmal anfassen», sagt Ursula Amrein und deutet auf ihren rechten Unterarm. Unter der Haut wölben sich auffällige, dunkel schimmernde Blutgefässe.
Es ist Freitagmittag, 12.30 Uhr. Gleich kommt eine der Pflegefachfrauen und wird Amrein an diesem Unterarm zweimal punktieren. Durch die erste Einstichstelle wird das Blut aus ihrem Körper hinaustransportiert, durch die zweite – nach der Reinigung in einer künstlichen Niere – wieder hineingeführt. Mehrmals wird ihr kompletter Blutkreislauf auf diese Weise durchgespült.
Ursula Amrein ist 72 Jahre alt. Sie hat kurzes, graues Haar, trägt ein seidiges Blusenshirt mit Blumenmuster. Und aus ihren blauen Augen leuchtet die Herzlichkeit nur so. Während der Punktion muss sie die Lider aber kurz zusammenkneifen. «Ging’s?», fragt die Pflegefachfrau hinterher. «Sensationell gemacht», lobt die tapfere Patientin. «Jetzt ist der unangenehme Teil überstanden.»
Etwa vier Stunden lang muss sie nun ihr Blut reinigen lassen. Der Monitor des Dialyse-Geräts zeigt genau an, wie lange die Behandlung noch dauert.
Behandlungsdauer: etwa vier Stunden
Einige der Dialyse-Patienten um Ursula Amrein herum schauen Filme auf dem iPad, andere machen ein Nickerchen. Sie selbst nutzt die Zeit meist zum Lesen, oder sie unterhält sich mit ihrem Mann. Zwischendrin checkt das Personal regelmässig die Werte auf dem Monitor. «Um 15 Uhr kriege ich ein süsses Zvieri, darauf freue ich mich immer. Und danach ist es auch gar nicht mehr lang», so Amrein.
Kurze Anfahrt, lange Behandlung
Jeden Montag, jeden Mittwoch und jeden Freitag kommt sie auf die Dialyse-Station in den KSB- Kubus. Ihr «goldiger Mann» fährt sie immer. Zehn Minuten dauert die Anfahrt von ihrem Wohnort Neuenhof aus. Während der Dialyse bleibt er fast die ganze Zeit bei ihr. Nur einen halbstündigen Spaziergang gönnt er sich.
Ursula Amrein ist froh, dass ihr Mann sie begleitet. Sogar an dem Sportkurs, der für Dialyse-Patienten vor der Behandlung angeboten wird, nimmt er seiner Frau zuliebe teil. Vor fünfzig Jahren lernten sie sich kennen, am Silvesterball im Kursaal Baden. Gefunkt habe es sofort. Sie heirateten, zogen zwei Söhne gross. Und nun möchten sie natürlich noch so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen. Ursula Amrein wünscht sich ganz besonders, erleben zu dürfen, welchen Weg ihre fünfzehnjährige Enkelin dereinst einschlägt.
Die Nieren als menschliches Ausscheidungsorgan
Die Nieren sind im menschlichen Körper paarig angelegt; die eine befindet sich links, die andere rechts der Wirbelsäule. Aufgrund des Blutdrucks wird in ihnen Flüssigkeit aus dem Blut gepresst. Bei einer gesunden Nierenfunktion werden täglich anderthalb bis zwei Liter Urin ausgeschieden – und mit ihm diverse Stoffe, die den Körper vergiften, wenn sie keinen Weg nach draussen finden. Zudem tragen die Nieren unter anderem zur Erhaltung des Gleichgewichts von Wasser und Salzen (Elektrolyt-Haushalt) bei, ferner zur Blutdruckregulierung, zur Umwandlung von Vitamin D und zur Produktion von Hormonen.
Diagnose: chronisches Nierenversagen
Bei Ursula Amrein funktionieren die Nieren nicht mehr. Sie leidet – wie rund 4500 Betroffene in der Schweiz – an chronischem Nierenversagen. 2016 erlitt sie mehrere Kreislaufzusammenbrüche, wochenlang war sie zu schwach zum Gehen. «Wir dachten schon, das wäre es jetzt», erzählt sie. Aber seit sie mit der Dialyse begonnen habe, habe sich ihre Situation deutlich verbessert. «Die meisten Dinge im Haushalt kann ich inzwischen wieder selbst erledigen», sagt sie. So geniesse sie es, an den dialysefreien Tagen für Freunde und Verwandte zu kochen.
Lebensnotwendige Dialyse
Bei ihrer Ernährung muss Ursula Amrein vor allem auf eines achten: Sie darf nicht zu viel Flüssigkeit zu sich nehmen, da sie überschüssiges Wasser, anders als ein gesunder Mensch, nicht einfach über einen Gang zur Toilette loswerden kann. Isst sie beispielsweise ein Stück Melone, muss sie anschliessend am Trinken sparen. Während der Dialyse wird das Blut deshalb nicht nur gereinigt, sondern es wird ihm auch Wasser entzogen. Zwei Liter sind es bei Amrein an diesem Nachmittag.
Ob sie manchmal damit hadere, so oft ins Spital zu müssen? «In diese Negativspirale begeben wir uns überhaupt nicht erst hinein», sagt Ehemann Werner energisch. Und seine Frau, die Patientin, nickt: «Natürlich habe ich mir diese Situation nicht ausgesucht. Aber es ist, wie es ist. Ich danke Gott, dass ich zur Dialyse kann. Ohne Dialyse würde ich nicht mehr leben.»
Lieber im Spital als daheim
Inzwischen gibt es auch Möglichkeiten, die Dialyse zu Hause durchzuführen. Vor allem Jüngere, denen ihre Unabhängigkeit sehr wichtig ist, machen davon Gebrauch. Sie werden vorgängig im Kantonsspital Baden intensiv geschult. Für Ursula Amrein war das aber keine Option. «Hier fühle ich mich sicherer. Die Behandlung wird die ganze Zeit überwacht, und das Personal ist jederzeit für mich da», sagt sie.
Auch das Verreisen vermisse sie nicht. Es wäre zwar möglich, Ferien zu machen, indem man ein Dialyse-Zentrum am jeweiligen Aufenthaltsort aufsucht. Sogar einige Kreuzfahrtschiffe verfügen heute über Dialyse-Geräte. Aber die Amreins sagen: «Wir sind nie viel weggefahren, deshalb fehlt uns das nicht. Lieber machen wir Tagesausflüge und lassen es uns in unserem Haus und unserem Garten gutgehen.» Gerade versuchen sie, einen Ableger ihrer Weinrebe zu ziehen – für eine der Pflegefachfrauen, die von den Trauben so begeistert war.
Znacht zu Hause
An diesem Freitagnachmittag ist die Dialyse um 16.50 Uhr für Ursula Amrein beendet. Sie wird von den beiden Nadeln im rechten Unterarm befreit und macht sich, gemeinsam mit ihrem Ehemann, auf den Weg nach Hause. «Es gibt jetzt noch Znacht, und danach ist der Tag für mich vorbei.» An den Behandlungstagen sei sie abends besonders müde. Aber sie hadert auch damit nicht. «Es ist, wie es ist», sagt sie nochmals. Und: «Ich habe mich so an die Situation und die Menschen hier im Spital gewöhnt – mir würde fast etwas fehlen, wenn ich nicht mehr zur Dialyse müsste.»
Dialyse-Standorte ganz nah
Das KSB betreibt in Baden, Brugg und Muri rund 40 moderne Dialyse-Plätze. Damit stellt es sicher, dass die Patienten von einem möglichst kurzen Weg zur zeitaufwendigen Behandlung profitieren. So erreichen Patienten, die innerhalb der roten Kreise wohnen, eine der drei Dialyse-Standorte in weniger als 20 Minuten Autofahrt. (Bildquelle: Google Maps)
Text: Katja Schönherr; Fotos: Kilian Kessler