Es liegt im Untergeschoss – verborgen vor den Blicken der Öffentlichkeit. Und eigentlich kennt man es nur von Kernkraftwerken. Doch das KSB hat ebenfalls eines: ein Abklingbecken. Denn auch im neuen Spital kommen radioaktive Substanzen gezielt zum Einsatz – wenn auch mit deutlich geringerer Halbwertszeit. Allerdings geht es nicht um Energieproduktion, sondern um modernste Krebstherapien. Dafür ist die Nuklearmedizin zuständig. Sie verlängert Leben, lindert Schmerzen und schenkt manchmal neue Hoffnung.

Wie radioaktive Substanzen gezielt gegen Tumore eingesetzt werden
«Ich fand es schon immer faszinierend, dass man im Körper nicht nur die Anatomie sehen kann, sondern auch Prozesse wie Durchblutung oder Stoffwechsel. Wenn man die richtigen Radiochemiker an der Seite hat, kann man fast alles sichtbar machen», sagt Prof. Irene Burger. Seit Anfang 2019 leitet sie die Nuklearmedizin am KSB – und brennt für ihr Fach.
Lange Zeit stand dabei die Diagnose im Zentrum. Doch das hat sich verändert: Heute rückt die Therapie stärker in den Fokus. «Früher behandelten wir vor allem Schilddrüsenerkrankungen. Jetzt können wir auch Metastasen von Prostatakarzinomen oder neuroendokrinen Tumoren gezielt therapieren. Laufend kommen neue Indikationen dazu. Es ist, als würde der Garten der Möglichkeiten ständig wachsen», schwärmt die 46-jährige Chefärztin.
Eine Therapiedosis kann bis zu 20'000 Franken kosten
Doch wie funktionieren diese Therapien? In der am KSB seit 2019 eingesetzten Radioligandentherapie werden winzige Substanzen (Peptide) mit dem radioaktiven Beta-Strahler Lutetium-177 markiert und über die Vene verabreicht. Diese Komplexe hindern Tumorzellen am Wachstum, schädigen oder zerstören sie – etwa, indem sie deren DNA dauerhaft verändern. Das Prinzip ist einfach: Zerfällt das Nuklid, wird in genau diesem Moment Energie in der Tumorzelle freigesetzt. Dadurch beginnt der Zerstörungsvorgang. Zugleich ermöglicht eine hochsensible Bildgebung präzise Messungen im Körper.
Allerdings: Diese Präzision hat ihren Preis. «Eine Therapiedosis kann bis zu 20'000 Franken kosten», sagt Irene Burger. «Verfällt die individuell vorbereitete Dosis ungenutzt – etwa, weil der Patient zu spät kommt –, ist sie verloren. Wir müssen exakt planen: Patienten, Zimmer, Personal – alles muss auf den Punkt stimmen.»

KSB entwickelt eigene PET-CT-Technologie
In der Nuklearmedizin am KSB wird aber nicht nur diagnostiziert und therapiert, sondern auch geforscht. Gemeinsam mit der ETH, dem Universitätsspital Zürich, dem Paul-Scherrer-Institut und Veterinärmedizinern entwickelt das Team um Irene Burger ein PET-CT-System mit extrem hoher Auflösung. «Das ist fast Teilchenphysik», sagt sie.
Erste Tests laufen an Hunden mit bösartigen Tumoren – sogenannten Sarkomen. Der Einsatz der Vierbeiner hat praktische Gründe: Sie profitieren von besserer Diagnostik, und dank geringerer regulatorischer Hürden kommt die Studie schneller voran. «So sparen wir Jahre. Die Verfahren lassen sich schneller optimieren – und später für Menschen nutzbar machen.» Für Burger ist Forschung aber mehr als Technik. «Wir testen nicht nur Geräte, sondern auch, wie wir das Wohlbefinden besser messen und Patientenbedürfnisse erfassen können. Das Ziel: noch frühere Diagnosen, noch zielgenauere Therapien.»
So empfindet ein Patient die Radioligandentherapie
Einer der Patienten, der von dieser Therapie bereits profitiert hat, ist Ernst Schmid* aus Winterthur: «Ich hatte Prostatakrebs, der gestreut hat. Chemo und Hormontherapie haben bei mir nicht mehr geholfen.» Nach der Radioligandentherapie – Schmid wurde dafür 48 Stunden in einem strahlungssicheren Raum des KSB isoliert – ging es ihm erheblich besser. «Ich bin schmerzfrei – und spaziere täglich zwei Kilometer durch meinen Garten», erzählte er dem Blick. Auch Nebenwirkungen hatte er kaum. «80 Prozent unserer Patienten vertragen die Therapie sehr gut», sagt Irene Burger. «Mundtrockenheit ist die häufigste Nebenwirkung, aber nur zehn bis zwanzig Prozent empfinden sie als störend.»

«Wir können etwas, das nur wenige können: sehen, verifizieren und direkt therapieren.»
Chefärztin Nuklearmedizin
Neue Therapien: Wenn aus Pistolen Kanonen werden
Ein weiteres Projekt ist die Therapie mit Actinium. «Im Vergleich zum Lutetium ist das wie der Unterschied zwischen einer Pistolen- und einer Kanonenkugel. Die Wirkung auf Tumorzellen ist enorm, aber die Reichweite im Gewebe minimal – also hochpräzise.» Auch hier gehört das KSB zu den ersten Spitälern der Schweiz, die diese neue Technologie einführen.
Die Radioligandentherapie ist inzwischen so zielgenau, dass sie früher im Krankheitsverlauf eingesetzt werden soll. «In Australien läuft bereits eine Studie, bei der Radioliganden noch vor der Operation verabreicht werden», erklärt Burger.
Ob das ein gangbarer Weg ist? «Nein!», sagt sie und schüttelt den Kopf. Dennoch könnte die Nuklearmedizin Krebstherapien grundlegend verändern, denn die Technik lässt sich auch auf andere Tumorarten wie Brust- oder Hirntumoren übertragen. «Unser PET-CT gehört zu den modernsten in der Schweiz. Damit machen wir gestochen scharfe Bilder bei minimaler Strahlenbelastung», sagt Burger. Besonders stolz ist sie auf die Möglichkeit, Therapieerfolge in Echtzeit zu messen: «Wir können exakt feststellen, ob das Medikament dort wirkt, wo es soll. So lässt sich die Behandlung individuell nachsteuern – auch innerhalb eines Tumors.»
Nuklearmedizin: Ein Blick nach vorn
Irene Burger ist überzeugt, dass die Nuklearmedizin künftig eine zentrale Rolle in der Onkologie spielen wird – nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu anderen Methoden: «Denn wir können etwas, das nur wenige können: sehen, verifizieren und direkt therapieren – alles in einem.»
Noch ist der Einsatz radioaktiver Stoffe für viele Patientinnen und Patienten die «letzte Option». Doch Burger betont: «Unsere Vision ist, früher zum Einsatz zu kommen – mit besseren Daten, besserer Bildgebung und neuen Substanzen.»
Das Abklingbecken im KSB wird also noch lange gebraucht. Sämtliche Ausscheidungen der Patientinnen und Patienten während der Therapie landen hier. Doch anders als bei Atombrennstäben enthält das sogenannte Schwarzwasser nur geringe Mengen an Radioaktivität. Nach wenigen Tagen unterschreiten sie den Grenzwert und können bedenkenlos ins Abwasser abgegeben werden.
Zur Person:
Prof. Dr. med. Irene A. Burger ist seit 2019 Chefärztin der Nuklearmedizin am KSB und seit 2024 Professor of Practice an der ETH Zürich. Nach dem Medizinstudium 2004 in Zürich spezialisierte sie sich auf Radiologie und Nuklearmedizin, mit Fokus auf hybrider Bildgebung. Sie engagiert sich in der universitären Lehre und leitet als Editor in Chief ein internationales Fachjournal.
Text: Simon David • Geprüft von: Prof. Dr. med. Irene Burger, Chefärztin Nuklearmedizin