Zurück zur Startseite
Zurück zur Startseite

Michelle Egloff: Tanz mit den Hormonen

27. Mai 2024

Bei Endokrinologin Michelle Egloff dreht sich beruflich (fast) alles um Hormondrüsen. Denn Störungen können zu schweren Krankheiten wie Diabetes führen. Hier erzählt sie, warum sie Hormone faszinieren, warum Diabetes in vielen Fällen verhindert werden könnte – und welches ihr «Lieblingshormon» ist.

Zum ersten Mal mit Hormonen in Kontakt kam ich …

… natürlich in der Pubertät. Da merken die meisten Menschen, dass etwas mit ihnen passiert, ohne zu wissen, was genau abgeht. Damals wusste ich natürlich noch nicht, dass die Hormone an meinem Gemütszustand schuld waren.

Ich bin Endokrinologin geworden, weil …

… das Gebiet sehr breit und komplex ist und ganz viele Krankheiten einschliesst. Das bedeutet auch, dass ich mit den betroffenen Menschen sehr intensiv arbeite und sie so sehr gut kennenlerne. Allerdings dauerte es nach dem Studium etwas, bis ich mich für die Endokrinologie entschied. Denn zuerst wollte ich Gynäkologin werden. So bildete ich mich nach einem Abstecher in die Chirurgie zum Internisten aus. Danach kam ich – nach meiner Fachärztinnenweiterbildung in Endokrinologie/Diabetologie am Unispital Genf – als internistische Oberärztin ans KSB.

Die häufigste hormonelle Erkrankung ist …

… mit Abstand Diabetes. So sind 30 bis 40 Prozent meiner Patienten sind Diabetiker. Danach folgen die Schilddrüsenpatienten mit 20 bis 30 Prozent.

egloff_michelle_portraitdsc_6246_kl.jpg

«Diabetes Typ 2 hängt eng mit dem Lebensstil zusammen.»

Michelle Egloff
Die vermeidbarste hormonelle Erkrankung ist …

… sicher Diabetes Typ 2. Die Krankheit kann man mit einer gesunden Lebensweise am ehesten vermeiden. Kaum eine andere Krankheit hängt so eng mit dem Lebensstil zusammen. Wenn die Menschen gesünder essen und sich mehr bewegen würden, wären die Hälfte der rund 460 Millionen Diabetiker wahrscheinlich gesund. Was passiert, wenn man zu viel industriell verarbeitete Lebensmittel, Softdrinks, mangelnde Bewegung und Alkohol konsumiert, ist am Beispiel von nordamerikanischen Ureinwohnern sehr gut dokumentiert. Die Pima-Indianer im US-Bundesstaat Arizona wurden in kürzester Zeit von einem nomadischen Leben in ein Reservat gezwungen. Die Folgen: Die aufgenommene Energie wird ins Fettgewebe eingelagert statt verbrannt. Dadurch werden diese Menschen zu Diabetikern.

Diabetes macht mir Sorgen, weil …

… es eine Krankheit ist, die an vielen Orten der Erde schnell zunimmt. Denn unsere moderne Welt macht es möglich, dass wir zu Nahrung kommen, ohne uns bewegen zu müssen. Wir fahren in den Supermarkt und stapeln bequem und unlimitiert Kalorien in den Einkaufswagen. Oft leider zu viel und von zweifelhafter Qualität – «convenient» statt gesund. Diese Veränderung des Lebensstils beobachten wir nicht nur im Westen. Auch in vielen Schwellenländern wie Mexiko, Indien oder in der arabischen Welt ist sie sichtbar.

Michelle Egloff Portrait

«Viele Menschen unterschätzen, wie viele Kalorien sie täglich konsumieren.»

Michelle Egloff

Die grössten Missverständnisse in Zusammenhang mit Diabetes sind …

… zum einen die Vorstellung, dass es der Zucker sei, der Diabetes auslöst. Denn dabei gehen gerne die Kohlenhydrate vergessen, die wir konsumieren. Pizza, Pasta und Co. jagen den Zuckerspiegel genauso in die Höhe wie Schoggi. Zudem überschätzen viele Menschen das Ausmass ihrer Bewegung. Und sie unterschätzen dabei gleichzeitig die Menge der Kalorien, die sie täglich zu sich nehmen.

Mein typischer Patient …

… existiert so nicht. Mein jüngster Patient ist gerade mal 12 Jahre alt, meine älteste Patientin ist 90 Jahre alt. Die Bandbreite ist enorm gross. Das macht meine Arbeit so abwechslungsreich und spannend. Der Kardiologe befasst sich mit dem Herz, der Nephrologe mit den Nieren. In meinem Gebiet spielen ganz viele Organe eine wichtige Rolle im Zusammenspiel der Hormone. Sie alle haben unterschiedliche Funktionen und Auswirkungen auf den Stoffwechsel und den Körper. Das ist ein ausgesprochen komplexes System mit vielen Protagonisten. So ist sogar der Zeitpunkt der Blutentnahme für eine Hormonbestimmung extrem wichtig. Bei gewissen Hormonen kommt es sogar darauf an, ob ein Patient liegt oder steht, wenn wir ihm Blut abnehmen. Deshalb gibt es den «typischen Patienten» nicht.

Was ist Endokrinologie?

Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen. 

Das am meisten unterschätzte Hormon ist …

… wahrscheinlich das Glucagon, das beim Zuckerstoffwechsel eine Rolle spielt. Glucagon ist quasi der Gegenspieler des Insulins. Beide Hormone werden in der Bauchspeicheldrüse gebildet. Beim Diabetes spielt nicht nur die fehlerhafte Insulinwirkung, sondern auch das Ungleichgewicht zwischen Insulin und Glucagon eine wichtige Rolle.

Der grösste Unterschied zwischen Mann und Frau …

… liegt in den XX- und den XY-Geschlechtschromosomen. Die machen von Beginn an den ganzen Unterschied. Denn sie bestimmen den Code, der den Organismus zur Produktion bestimmter Hormone anregt. Diese Hormone wiederum steuern die Bildung von Hoden und Eierstöcken. Dabei kann es natürlich auch vorkommen, dass ein eigentlich männlicher Fötus sich zu einer Frau entwickelt und umgekehrt. Früher nannte man diese Störung «Hermaphroditismus». Damit meinte man Menschen, die sowohl männliche wie weibliche Keimzellen bzw. Geschlechtsorgane bilden.

Michelle Egloff Portrait

«Östrogen macht eine Frau zu einem Mysterium.»

Michelle Egloff
Mein Lieblingshormon ist …

… (Denkt länger nach.) Das ist eine ganz schwierige Frage. Denn das Faszinierende an meinem Fach ist ja das Zusammenspiel aller Beteiligten – der «Tanz der Hormone» quasi. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich mich wohl für das Östrogen entscheiden. Dieses Hormon macht eine Frau zu dem, was sie ist – einem Mysterium.

Leiden Sie an Übergewicht oder Bluthochdruck?


Text: Gaston Haas • Geprüft von: Michelle Egloff, Leitende Ärztin Endokrinologie/Diabetologie

War diese Seite hilfreich?

Ja
Nein