Es ist diese Patientengeschichte, die Eva Hägler-Laube nicht mehr loslässt. «Sie ist einfach krass», sagt die Kardiologin am KSB und fängt an zu erzählen: Ihre Patientin war 18, als sie an Lymphdrüsenkrebs, dem Hodgkin-Syndrom, erkrankte. Die Therapie schlug an, zwei Jahre später bekam die junge Frau ein Rezidiv und überstand auch das. Erst später machte sich die unsichtbare Last der damaligen Bestrahlung bemerkbar: Ihr Herz war schwer geschädigt. Der Patientin wurde eine Herzklappe eingesetzt, sie bekam einen Bypass. «Mit 33!», betont Eva Hägler-Laube. «Von aussen wirkte sie jung und gesund, die Thoraxschmerzen wegen der Herzschwäche hätte der Hausarzt aber wohl nicht ernst genommen und schon gar nicht auf die Krebsbehandlung zurückgeführt.»
Krebsnachsorge schliesst Versorgungslücke
Dieses Schicksal zeigt drastisch, wie wichtig eine strukturierte Nachsorge für Krebsüberlebende ist. Auch darum ist Eva Hägler-Laube stolz, dass sie gemeinsam mit der Chefärztin Innere Medizin, Prof. Maria Wertli, eine Cancer-Survivorship-Sprechstunde am KSB aufgebaut hat. «Sie schliesst eine Lücke in der Nachsorge von Patienten, die den Krebs überstanden haben», sagt Hägler-Laube. Während ihrer Zeit in Bern hatte sie bereits bei Maria Wertli gesehen, wie eine Cancer-Survivorship-Sprechstunde funktionieren kann. Einhergehend mit ihrem Forschungsaufenthalt am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York wusste sie: «So etwas brauchen wir auch in Baden.» Denn viele Betroffene geraten nach der Akuttherapie in eine emotionale und medizinische Unsicherheit.
Wie das? Müsste nach der überstandenen Krebserkrankung nicht alles eitel Sonnenschein sein? Ganz und gar nicht. Bestes Beispiel: eine junge Mutter, die mitten in ihrer Brustkrebstherapie gesunde Zwillinge zur Welt brachte – und doch danach vor dem Nichts stand. Körperlich geschwächt, seelisch am Boden, überfordert mit Alltag und Familie. Erst die Nachsorge am KSB, vor allem mit dem Physioprogramm, half ihr zurück ins Leben. Heute trifft Hägler-Laube sie manchmal zufällig mit ihren Kindern auf dem Spielplatz. «Sie blüht richtig auf. Solche Momente sind unbezahlbar», sagt die Oberärztin.
Manche Schicksale von Krebsüberlebenden gestalten sich schwieriger. Eva Hägler-Laube nennt das Beispiel eines Familienvaters. Geheilt vom Knochenkrebs und voller Lebenspläne stürzte der Polizist Jahre später beim Spielen mit seinem Kind. Die Prothese im Oberschenkel zerbrach, Infektionen folgten, Schmerzen, Operationen, Abhängigkeit von Medikamenten und Alkohol. Seine Ehe zerbrach, den Job verlor er – und damit auch den Halt in seinem Leben. «Das kann jedem passieren», sagt Eva Hägler-Laube, «aber bei Survivors ist das Risiko höher, weil die Spätfolgen oft unterschätzt werden.» Hinzu kommt: Die medizinische Nachsorge endet oft abrupt. Viele Onkologinnen und Onkologen behalten ihre Patienten bereits länger als nötig, weil sie wissen, dass Hausärztinnen und Hausärzte wenig Zeit haben oder keine entsprechende Spezialisierung besitzen.

«Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe bieten und die Betroffenen untereinander vernetzen.»
Oberärztin Kardiologie
Bereits 100 Patienten in der Sprechstunde – Tendenz steigend
Seit dem 1. August 2024 läuft die Cancer-Survivorship-Sprechstunde als vom Kanton Aargau gefördertes Pilotprojekt am KSB. Seitdem wurden bereits hundert Patientinnen und Patienten – darunter der Familienvater – betreut, Tendenz steigend. Ab September 2025 wird die Sprechstunde an zwei statt an einem Nachmittag in der Woche angeboten. «Wir haben 20-Jährige, 50-Jährige, 70-Jährige – jede Geschichte ist anders. Uns ist wichtig, dass wir individuell hinschauen und genügend Zeit haben», sagt Eva Hägler-Laube.
Im Mittelpunkt stehen die körperlichen Spätfolgen: Herz-Kreislauf-Probleme, Gefühlsstörungen, Schilddrüsenerkrankungen oder Zweittumore, aber auch psychosoziale Belastungen. Die meisten Betroffenen leiden unter chronischer Müdigkeit (Fatigue), Angststörungen oder Depressionen. Eva Hägler-Laube beschreibt es so: «Sie sehen nach aussen gut aus, die Haare sind zurück, das Gesicht frisch. Aber innerlich fühlen sie sich erschöpft. Viele Betroffene leiden stark darunter.»
Die Sprechstunde ist interdisziplinär aufgebaut. Zusammen mit Katharina Gut, Leitende Ärztin Innere Medizin, organisiert Hägler-Laube das Angebot. Zum Kernteam gehören neben Prof. Maria Wertli auch Joshua Ayoson als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Research Teams, Gita Gäbel als Leiterin des Physioprogramms, das MPA-Team sowie Kolleginnen und Kollegen aus Brustzentrum, Onkologie und Radioonkologie. Zudem arbeitet das Team eng mit der Psychoonkologie, der Krebsliga Aargau und dem Sozialdienst zusammen. «Unser Ziel ist es, dass jede betroffene Person einen persönlichen Nachsorgeplan erhält – mit klaren Ansprechpartnern und Empfehlungen, wohin man sich bei Problemen wenden kann», ergänzt Prof. Maria Wertli.
Physioprogramm stärkt Betroffene
Ein zentrales Element ist das Physioprogramm. Es umfasst Bewegungseinheiten wie Qi Gong, Tai Chi oder Slow Jogging, ergänzt durch Vorträge zu möglichen Spätfolgen und Gruppengespräche. «Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe bieten und die Betroffenen untereinander vernetzen», erklärt Hägler-Laube. Erste positive Effekte sind sichtbar: «Von der Psychoonkologie hören wir, dass Patienten seltener Unterstützung benötigen, weil sie sich durch unser Programm besser aufgehoben fühlen. Das ist für uns das schönste Kompliment.»
Und die Rückmeldungen der Patienten? «Durchweg positiv – viele sagen: Endlich nimmt sich mal jemand Zeit. Endlich versteht mich jemand», erzählt Hägler-Laube. Wobei manche Cancer Survivors nur einen klaren Fahrplan für die Zukunft benötigen, andere dagegen mehr Unterstützung und eine langfristige Begleitung. Aber alle eint ein Wunsch: ernst genommen zu werden.
Damit das Angebot im KSB und in der Schweiz weiterwächst, ist eine Forschungseinheit aktiv. Gemeinsam mit der Onkologie und der Grundlagenforschung werden wissenschaftliche Fragestellungen bearbeitet. Zudem entwickelt das Team mit der Initiative AllCan erste schweizweite Empfehlungen zum Thema Survivorship, die auch als Grundlage für politische Vorstösse dienen sollen. «Viele wissen gar nicht, was es heisst, nach dem überstandenen Krebsleiden zu leben», sagt die Kardiologin und erzählt von Momenten, die ihr besonders nahegehen: «Wenn Patientinnen und Patienten während der Echokardiographie bei mir in Tränen ausbrechen, weil sie nach dem Krebs im Alltag nicht mehr klar kommen, ist das bedrückend. Aber für diese Menschen ist unsere Sprechstunde gedacht. Wir können ihnen helfen.»
Information
Begegnung, Verständnis und Unterstützung: Darum geht es beim öffentlichen Symposium der Cancer-Survivorship-Sprechstunde am 13. Oktober um 18 Uhr im Auditorium am KSB. Neben Fachvorträgen zum Thema «Fatigue bei einer Krebserkrankung» gibt es bei einem Apéro Raum für persönliche Gespräche. Die Teilnahme an diesem Faitgue-Symposium des Cancer-Survivorship-Teams ist kostenlos. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Text: Simon David • Geprüft von: Eva Hägler-Laube, Oberärztin Kardiologie