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Was das Blut über uns aussagt

6. Juni 2024

Wie interpretiert man eine Blutanalyse? Welche Krankheiten zeigen sich im Blut? Hans-Ruedi Schmid, Leiter des Zentrallabors des KSB, beschäftigt sich von Berufs wegen mit solchen Fragen. Im Interview stellt er seinen Alltag vor.

Herr Schmid, lässt sich von einer Blutanalyse auf den Allgemeinzustand eines Menschen schliessen (sportlich, Raucher, übergewichtig)?

Eine Blutanalyse ist ein abstrakter Begriff. Aber es ist tatsächlich so, dass eine nicht geringe Zahl an medizinischen Diagnosen, Prognosen und Therapien auf Labordaten basiert. Wer genügend finanzielle und technische Mittel einsetzt, wird aus komplexen Analysen des Blutes sehr viele Informationen gewinnen.

Eine Fee zaubert Ihnen das ultimative Laborgerät. Wie sähe dieses Gerät aus?

Eine solche Fee gab es tatsächlich: 2003 brach Elisabeth Holmes mit 19 Jahren ihr Biochemiestudium in Stanford ab und gründete im Silicon Valley die Firma Theranos. Ihre Vision: ein Labor-Multifunktionsgerät, das aus einem einzigen Tropfen Blut viele Dutzend Laborwerte bestimmen sollte. Holmes beschaffte sich sehr schnell schwindelerregende finanzielle Mittel, und – schwups – namhafte Wissenschafter und Politiker schlossen sich ihrer Idee an.

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«Wer genügend finanzielle und technische Mittel einsetzt, wird aus komplexen Blutanalysen sehr viele Informationen gewinnen.»

Hans-Ruedi Schmid

Leiter des KSB-Zentrallabors

Auf dem Höhepunkt des Hypes wurde Theranos an der Börse mit neun Milliarden Dollar bewertet. 2015 zählte das «Time»-Magazin Elisabeth Holmes zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt.

Klappte die Sache mit dem einen Tropfen Blut am Ende?

Leider schaffte es die Firma Theranos nicht, die Vision umzusetzen. Wegen Verdachts auf betrügerische Handlungen leitete die US-Justiz 2018 ein Strafverfahren gegen Theranos/ Holmes ein. Zurück bleiben enttäuschte Anleger und ein Milliardenverlust. Die Moral der Geschichte: Visionen müssen immer zuerst in die Realität umgesetzt werden. Dabei kann einiges schiefgehen. Zum Thema Visionen meinte der frühere deutsche Kanzler Helmut Schmidt trocken: «Wer Visionen hat, sollte einen Arztbesuch in Erwägung ziehen.»

Was hat sich seit dem Beginn Ihrer Karriere im Laborbetrieb am meisten verändert?

Automatisierung, Digitalisierung und Personalisierung der Medizin nehmen kontinuierlich zu. Das wiederum fordert mehr Laboranalytik. Es gibt also noch genügend Nischen für Innovation und «Hands on»-Arbeiten in den Laborbetrieben.

Das Erschreckendste, das Sie je in einer Blutprobe entdeckt haben?

Nicht umsonst steht der Riechnerv an erster Stelle in der Reihenfolge der zwölf Hirnnerven: Wer schon einmal einen ungekühlten Sammelbehälter mit einer 24-Stunden-Stuhlsammlung geöffnet hat, weiss, was ich meine. Aber das gehört halt zum Job einer Labor-Fachperson.

Mann oder Frau? Erkennen Sie anhand einer anonymen Probe das Geschlecht?

Prinzipiell zeigen die Geschlechtschromosomen eindeutig, wer XY (Mann) und wer XX (Frau) ist. Aber das ist nicht immer die ganze Wahrheit: Die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya scheint zwischen den Geschlechtern zu stehen. Sie gilt als Frau, hat aber einen XY-Chromosomensatz (Mann) und eine eher männliche und muskulöse Erscheinung. Dies wegen eines Gendefekts bei der Testosteron-Biosynthese. Dadurch hat sie einen Vorteil gegenüber den weiblichen Konkurrentinnen. Deswegen wurde sie von einigen Wettkämpfen ausgeschlossen. Wegen ihres Falls unterscheidet der Weltdachverband der Leichtathletikverbände IAAF seit 2019 auf Basis des Testosteron-Werts zwischen Mann und Frau. Aufgrund ihrer Gen-Modifikation weist Caster Semenya einen höheren Testosteron-Wert auf und fällt in die Kategorie «Männer». Kompliziert? Dann schauen Sie sich die Gender-Einträge auf Facebook an …

Welches ist der grösste Irrglauben, den die Leute im Zusammenhang mit Blut haben?

Spontan kommt mir eine Anekdote aus der Blutspende in den Sinn: Als ein Blutspendezentrum den traditionell offerierten roten Traubensaft gegen Orangenjus austauschen wollte, wehrten sich die Spender. Sie waren der Meinung, der rote Traubensaft fördere die Blutbildung eher als der Orangenjus. Wissenschaftlich ist das zwar nicht erwiesen, aber das Blutspendezentrum hat danach wieder Traubensaft ausgeschenkt.

Das schönste Kompliment, das Sie für Ihre Arbeit erhalten haben?

Laborpersonal arbeitet eher im Hintergrund, ist aber für Komplimente durchaus empfänglich. Es gibt einige Patienten, die sich spontan am Schalter des Zentrallabors melden und sich für unsere Arbeit im Hintergrund bedanken. Ein allfälliger Obolus geht in unsere Kaffeekasse für Team-Events.


Text: Gaston Haas • Geprüft von: Hans-Ruedi Schmid, Leiter des Zentrallabors am KSB

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