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Wenn blaue Flecken Fragen aufwerfen

15. Dezember 2025

Jedes Jahr erhält die Kinderschutzgruppe des KSB mehr als tausend Hinweise auf mögliche Misshandlungen. Hinter jedem davon könnte ein Kind stehen, das dringend Hilfe braucht – oder ein Fehlalarm. Doch wie sieht die Arbeit des KSG überhaupt aus? Ein Einblick.

Körperliche und psychische Gewalt, Vernachlässigung oder sexuelle Übergriffe können Kinder aller Altersstufen treffen. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit etwa jedes fünfte Kind im Laufe seiner Kindheit eine Form von Misshandlung erlebt. Auch in der Schweiz ist das Thema präsent: Die nationale Statistik zu Kinderschutzfällen an Kinderkliniken zeigt seit Jahren steigende Fallzahlen auf hohem Niveau – die Dunkelziffer bleibt hoch.

Umso wichtiger sind klare Strukturen. Die Kinderschutzgruppe (KSG) des Kantonsspitals Baden (KSB) besteht seit 1990 und ist Teil eines schweizweiten Netzwerks, das Standards im Kinderschutz mitentwickelt und fortlaufend weiterführt.

Jede Meldung erzählt eine eigene Geschichte

Im Jahr 2023 erhielt die KSG Hinweise zu 1338 Kindern, im Jahr 2024 sogar zu 1417. Jede Meldung steht für eine individuelle Situation, die eingeordnet werden muss: Liegt eine mögliche Kindsmisshandlung vor oder nicht? Manche Hinweise klären sich rasch, andere führen zu vertieften Abklärungen. Die steigende Zahl zeigt, wie wichtig niedrigschwellige Meldestellen im Kinderschutz sind und wie sorgfältig jeder einzelne Verdacht geprüft wird.

Dörthe Harms Huser Portrait

«Unsere Aufgabe ist es, sorgfältig hinzuschauen.»

Dr. med. Dörthe Harms Huser

Leiterin der KSG und Leitende Ärztin Kinder- und Jugendmedizin im KSB

Die Jüngsten brauchen besonderen Schutz

Säuglinge und Kleinkinder sind besonders gefährdet: Überforderungssituationen treten häufiger auf, zudem fällt ausserhalb der Familie oft niemandem frühzeitig etwas auf. «Der Schutz der ganz kleinen Kinder ist eine besondere Herausforderung und gelingt nur mit frühzeitiger Unterstützung», sagt Dörthe Harms Huser, Leiterin der KSG.

Früh erlebte Gewalt kann langfristige Folgen haben. Betroffene Kinder leiden später häufiger unter psychischen Belastungen wie Angststörungen, Depressionen oder Suchtproblemen. Auch die Wahrscheinlichkeit, später selbst Gewalt anzuwenden, steigt – weil ihnen sichere Bewältigungsstrategien fehlen.

So läuft eine Abklärung bei Verdacht auf Kindsmisshandlung ab

Die KSG des KSB ist eine kostenlose Beratungsstelle für Privatpersonen und Fachpersonen. Sie arbeitet eng mit der Anlaufstelle Häusliche Gewalt (AHG) zusammen. Rund drei Viertel aller Meldungen stammen aus diesem Umfeld, insbesondere nach Polizeieinsätzen in Familien wegen häuslicher Gewalt. Auch Schulen und Ärztinnen und Ärzte gehören zu den wichtigsten Meldenden. Sie erkennen früh, wenn etwas nicht stimmt. 

Geht eine Meldung ein, folgt ein klar strukturierter Abklärungsprozess:

  • Die Situation wird mit den meldenden Personen besprochen.
  • Vermutungen werden von Fakten getrennt.
  • Frühere Hinweise werden geprüft.

- Falls nötig, führt die KSG Gespräche mit Kindern oder Jugendlichen oder veranlasst medizinische Untersuchungen.

«Beim Thema Kindsmisshandlung neigt man dazu, sehr schnell handeln zu wollen. Gleichzeitig dürfen Entscheidungen nie übereilt fallen. Unsere Aufgabe ist es, sorgfältig hinzuschauen», sagt Dörthe Harms Huser, die auch Präsidentin der Fachgruppe Kinderschutz an Schweizerischen Kinderkliniken ist.

Interdisziplinär im Dienst des Kindswohls entscheiden

Einmal wöchentlich – und bei dringenden Fällen sofort – trifft sich das interdisziplinäre Team der KSG. Am Tisch sitzen Fachpersonen aus Pädiatrie, Psychiatrie, Pflege, Sozialarbeit, Schulpsychologie sowie Rechtsexperten. Das Team erarbeitet gemeinsam Empfehlungen. Diese können wie folgt aussehen:

  • ein Gespräch mit den Eltern,
  • eine Gefährdungsmeldung,
  • eine Strafanzeige,
  • weitere Abklärungen.

Während manchmal ein Verdacht verworfen wird, informiert die KSG in schweren Fällen selbst die Behörden. «Erst der gemeinsame Blick aus verschiedenen Richtungen ergibt ein vollständiges Bild. Zudem ist Kinderschutz zu komplex, um ihn einer Einzelperson zu überlassen. Klare Prozesse dienen dem Kind – und entlasten uns, weil wir die Verantwortung gemeinsam tragen», betont Dörthe Harms Huser.

Diese Warnsignale sollten Sie kennen

Kinderschutz beginnt im Alltag. Daheim, in der Schule oder im Verein. Dabei müssen Menschen im Umfeld eines Kindes oder Fachpersonen keine Diagnosen stellen, aber sie sollten typische Warnzeichen kennen. Dazu gehören:

  • Verletzungen an ungewöhnlichen Stellen (z. B. Hals, Ohren, Oberschenkelinnenseiten),
  • Erklärungen, die nicht zu den Verletzungen passen,
  • Knochenbrüche bei noch nicht mobilen Kindern,
  • Muster wie Striemen oder Handabdrücke.

Hinschauen bringt also etwas: Denn je früher Hinweise erkannt und gemeldet werden, desto besser kann das Kind geschützt werden. Dörthe Harms Huser formuliert es so: «Wenn wir einen Handabdruck im Gesicht eines Kindes sehen, müssen wir handeln.» Ganz im Sinne des betroffenen Kindes.

Lieber früh als nie – so kontaktieren Sie die KSG

Eine Anfrage bei der KSG bedeutet nicht, dass jemand beschuldigt wird. Oft besteht zunächst ein Verdacht, eindeutige Hinweise sind dagegen selten. Deshalb ist eine frühe Kontaktaufnahme wichtig: Sie schützt mögliche Betroffene und ermöglicht eine fachliche Einschätzung.

Die KSG berät vertraulich, soweit es die Situation zulässt. Wird eine Kindswohlgefährdung oder ein Straftatbestand festgestellt, müssen die Behörden informiert werden. Doch niemand steht mit diesen Entscheidungen allein da, die KSG unterstützt in schwierigen Situationen.

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Text: Simon David • Geprüft von: Dr. Dörthe Harms Huser, Leitende Ärztin Kinder- und Jugendmedizin und Mitglied der KSG