Zurück zur Startseite
Zurück zur Startseite

Bauchhirn: Denkt der Darm mit?

4. März 2024

Darm und Hirn «sprechen» miteinander über das enterische Nervensystem und Botenstoffe im Blut. Der Neurologe Alexander Tarnutzer erklärt, wie dies funktioniert, wo die Forschung in Sachen Darm-Hirn-Achse steht und warum ein Joghurt die Parkinson-Krankheit nicht heilen kann.

Wir treffen Entscheidungen aus dem Bauch. Stress schlägt uns auf den Magen. Wir haben Schiss oder spüren Schmetterlinge im Bauch. Der Volksmund verortet die Stimmung in der Körpermitte. Wie dieses Bauchgefühl über das enterische Nervensystem Einfluss auf unser Bewusstsein nimmt, ist aus neurologischer Sicht aber noch weitgehend unerforscht. «Man weiss aber, dass die Nervenzellen im Hirn und im Verdauungstrakt ähnlich aufgebaut sind. Sie sprechen quasi dieselbe Sprache», sagt Alexander Tarnutzer, Leitender Arzt Neurologie am Kantonsspital Baden. Im klinischen Alltag habe dieser Austausch auf der sogenannten Darm-Hirn-Achse aber noch kaum eine Bedeutung. Dennoch spüren wir – nicht nur sprichwörtlich – einen Einfluss der Verdauung auf unser Wohlbefinden.

ksb-blog_darmhirnachse_content_01-2048x1152.jpg
«Man weiss, dass die Nervenzellen im Hirn und im Verdauungstrakt ähnlich aufgebaut sind. Sie sprechen quasi dieselbe Sprache», sagt Neurologe Alexander Tarnutzer.
Die Darm-Hirn-Achse

Denkt der Darm also mit? Der Neurologe verneint. «Im Gegensatz zum zentralen Nervensystem im Gehirn erbringt das enterische Nervensystem keine kognitiven Leistungen. Es verarbeitet nur Impulse», erklärt Alexander Tarnutzer. So erfassen die Nervenzellen des Bauchhirns zum Beispiel, welche Darmbakterien sich gerade im Verdauungstrakt tummeln, wie der Nahrungsbrei zusammengesetzt ist und welche Nährstoffe der Körper aufnehmen oder ausscheiden soll. Diese Informationen gelangen über den sogenannten Vagusnerv (siehe Box) ins limbische System des Gehirns. Dieses bestimmt auch unser Gefühlsleben.

Lässt sich der Vagusnerv stärken?

Der Vagusnerv ist der längste unserer zwölf Hirnnerven. Als Teil des sogenannten Parasympathikus gehört er wie das Bauchhirn zum vegetativen Nervensystem. Der Vagus ist an der Funktion fast jedes inneren Organs beteiligt. Zudem sorgt er – vereinfacht gesagt – für Erholung, Ruhe und Verdauung. Eine Stimulation des Nervs mit Elektroden zeigt einen gewissen Erfolg bei der Behandlung von Depressionen. Der Vagus lässt sich auch durch Atemübungen und Meditation stimulieren und trägt damit zur Entspannung bei.

Darm und Hirn kommunizieren auch über Botenstoffe

Die Kommunikation zwischen Darm und Hirn verläuft aber nicht nur über Nervenbahnen, sondern auch über Botenstoffe im Blutkreislauf. Die bekanntesten sind Dopamin und Serotonin. Im Volksmund gelten sie als Glückshormone. «Diese Neurotransmitter haben im Gehirn und im Verdauungstrakt aber unterschiedliche Wirkungen», erklärt Tarnutzer. So beeinflusst Serotonin im Gehirn unser Wohlbefinden. Im Bauch steuert es den Rhythmus der Darmtätigkeit und reguliert das Immunsystem. Dopamin regelt im Darm die Durchblutung, im Hirn stimuliert es das Belohnungszentrum.

Das Mikrobiom als Teil der Darm-Hirn-Achse

Bis zu 30 Billionen Mikroorganismen wie Bakterien, Viren und Pilze tummeln sich in unserem Darm. 

Kann ein Joghurt Parkinson heilen?

Über 90 Prozent des Serotonins und 50 Prozent des Dopamins produziert der Darm. Die Botenstoffe gelangen aber nicht direkt ins Gehirn, weil sie die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können. Ihre Ausgangsstoffe wie Levodopa (für Dopamin) und 5-HTP (für Serotonin) sind dazu jedoch in der Lage. Diese Substanzen bilden auch Mikroben im Darm aus der Nahrung (siehe Box Mikrobiom). «Um den Einfluss des Mikrobioms auf das Gehirn ranken sich viele Mythen. Sie sind oftmals von kommerziellen Interessen getrieben», sagt Alexander Tarnutzer. So versprechen gewisse Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln oder probiotischen Joghurts positive Wirkungen auf die Stimmung. Selbst Verbesserungen bei neurodegenerativen Krankheiten wie Parkinson stellen sie in Aussicht.

Aus medizinischer Sicht gibt es dafür aber keine Anhaltspunkte. «Die Forschung zur Darm-Hirn-Achse steckt noch in den Kinderschuhen. Im klinischen Alltag der Neurologie gibt es nur wenige Berührungspunkte», erklärt Alexander Tarnutzer. Tatsächlich leiden Parkinson-Patienten jedoch häufig unter Verstopfung. «Die charakteristischen Nervenschädigungen aufgrund eines Dopaminmangels lassen sich im Darm beobachten, noch bevor die Krankheit das Gehirn betrifft», erklärt Tarnutzer. Solche Erkenntnisse sollen künftig dabei helfen, Krankheiten wie Parkinson früher und einfacher zu erkennen.

Hilfe bei Darmproblemen


Text: Florian Wehrli • Geprüft von: Prof. Dr. med. Alexander Tarnutzer, Leitender Arzt Neurologie

War diese Seite hilfreich?

Ja
Nein