Zurück zur Startseite
Zurück zur Startseite

«Bei Erwachsenen eine Katastrophe – bei Kindern normal»

7. Juni 2024

Im Interview erzählt der Kinderorthopäde Leonhard Ramseier, bei welcher Art von Schmerzen man hellhörig werden sollte, warum seine eigenen Kinder mit 70 km/h die Skipiste hinuntersausen dürfen und wieso er seine Sommerferien am liebsten in der Halle verbringt.

Meist sind es Kinder mit Rücken-, Knie- oder Fussbeschwerden, die in die kinderorthopädische Sprechstunde zu PD Dr. med. Leonhard Ramseier, Belegarzt am KSB, kommen. Bei Säuglingen sind Hüftdysplasie, Klumpfuss und Sichelfuss die häufigsten Beschwerden. Die Mehrzahl seiner jungen Patienten überweist der Kinderarzt an ihn, da sie eine operative Korrektur benötigen. Doch hinter so manchen Schmerzen, die Kinder am Bewegungsapparat haben, stecken zum Glück keine ernsthaften Probleme, wie Leonhard Ramseier erläutert.

Wenn es Teenager im Knie zwickt, …

… handelt es sich meist um Wachstumsschmerzen. Dabei kommt es zu einer Überlastung aufgrund einer verkürzten Muskulatur. Diese Art von Wachstumsschmerzen ist deshalb auch von den typischen Wachstumsbeschwerden, die bei kleinen Kindern in der Nacht auftreten, zu unterscheiden. Es ist zum Glück nichts Schlimmes und hört irgendwann von selbst wieder auf. Ob eine Therapie erwogen wird, hängt vom Grad des Leidens ab. Wir behandeln solche Beschwerden in der Regel mit Physiotherapie, manchmal auch mit Medikamenten und zu Beginn teils mit Sportverbot.

ksb-blog-kinderorthopaedie-content2-2048x1152.jpg
Viele Beschwerden hängen mit dem Wachstum zusammen. Dennoch sollte man starke oder regelmässige Beschwerden abklären.
Rückenschmerzen …

… kommen auch bei Kindern schon häufig vor. Sie können durch einseitige Belastung, Wachstumsschübe oder eine muskuläre Schwäche verursacht werden. Insbesondere bei jungen Frauen sollten Rückenschmerzen gut abgeklärt werden, denn daraus kann sich eine Skoliose, eine seitliche Wirbelsäulenverkrümmung, entwickeln.

Schmerzen sollte man nicht als allgemeine Wachstumsschmerzen abtun, wenn …

… die Beschwerden so heftig sind, dass die Kinder in der Nacht davon aufwachen, die Schmerzen täglich und/oder mit zunehmender Tendenz vorhanden sind oder nur einseitig auftreten. Haben die Kinder hingegen auf beiden Seiten Beschwerden, steckt selten etwas Schlimmes dahinter.

Bei orthopädischen Problemen: zum Kinderarzt oder direkt zum Kinderorthopäden?

Das hängt von der Erfahrung des Kinderarztes ab. Wenn es eine operative Korrektur braucht, sehe ich die Kinder lieber zu früh als zu spät. Operative Eingriffe sind angezeigt, wenn die Beinlängen unterschiedlich sind oder das Kind ausgeprägte O- oder X-Beine hat. Mit konkreten Mitteln können die Beine während des Wachstums gut eingestellt werden.

An der Kinderorthopädie begeistert mich, …

… dass dies ein ganz anderes Gebiet als die Erwachsenenorthopädie ist. So muss bei der Diagnostik von Kindern immer auch ihr Wachstum miteinbezogen und beurteilt werden. Auch ist vieles, was bei Erwachsenen eine Katastrophe ist, bei Kindern völlig normal – zum Beispiel ausgeprägte X-Beine oder Fehlstellungen bei einem Vierjährigen. Kinder sind ausserdem sehr ehrlich. Sie sagen, ob etwas wehtut oder nicht, sobald sie kommunizieren können. Zudem gefällt mir, dass die Kinderorthopädie das gesamte Skelett vom Fuss bis zur Wirbelsäule miteinbezieht. Bei den Erwachsenen schauen wir nur den jeweils betroffenen Körperteil an, zum Beispiel den Fuss oder die Hüfte.

Drei Tipps für Jugendliche, um auch als Erwachsene fit und gesund zu bleiben:

Man sollte sich sportlich betätigen. Also neben dem Schulsport zweimal die Woche Sport treiben. Zudem sollte man Übergewicht vermeiden und ausserdem regelmässig Dehnungsübungen durchführen. Dehnen ist gerade im pubertären Wachstumsschub äusserst wichtig.

ksb-blog-kinderorthopaedie-content1-2048x1152.jpg
Richtiges Dehnen ist auch für Kinder und Jugendliche wichtig, gerade bei Wachstumsschüben.
Die beste Sportart für Kinder und Jugendliche …

… ist diejenige, die dem Kind am meisten Freude macht. Am schlechtesten ist der Sport, den man am wenigsten ausstehen kann. Ob die Kinder nun zweimal die Woche zum Fussball oder Schwimmen gehen, ist egal. Was zählt, ist einzig die Freude am Sport.

Immer in Erinnerung bleiben wird mir …

… ein Ereignis während meiner Tätigkeit in Kanada. Dort ist ein Kind nach einem Sturz vom Trampolin verstorben. Es waren mehrere Kinder gleichzeitig auf dem Trampolin. Und dieses Kind ist beim Zusammenprallen unglücklich auf den Nacken gefallen. Deshalb haben meine Kinder absolutes Trampolinverbot! Ein Trampolin ist zwar hervorragend für das Trainieren des Gleichgewichts. Aber es sollte immer nur ein Kind darauf und zudem immer ein Erwachsener anwesend sein.

Mit meiner Familie teile ich die Leidenschaft fürs …

… Skifahren. Ich bin ausgebildeter Skilehrer, und da meine drei Kinder – sie sind zwischen 8 und 15 Jahre alt – Skirennen fahren, verbringen wir etwa 80 bis 100 Tage im Jahr auf den Pisten von Andermatt, Brunni oder Titlis. Je nach Saison und Schneelage. Auch im Sommer gibt es bei uns keine Pause, deshalb trainieren wir dann in einer Halle in Frankreich.

Der Arzt in mir …

… tritt in meiner Rolle als Vater eher in den Hintergrund. Denn ich habe eine Maxime: Behandle nicht deine eigene Familie. Bei vielen Sachen schicke ich meine Kinder weiter. Meine Älteste hat sich zum Beispiel gerade bei etwa 70 km/h auf der Piste eine Hirnerschütterung zugezogen. Es geht ihr mittlerweile zum Glück wieder besser. Angst habe ich dennoch nie, wenn ich den Kindern bei ihren Rennen zuschaue. Ausserdem vertrete ich die Auffassung: Wenn ein Kind beim Skifahren nicht einmal pro Tag umfällt, lernt und probiert es auch nichts aus.

Als Mannschaftsarzt der Schweizer Skinationalmannschaft …

… bin ich nur einer von vielen. Dadurch bin ich für ein, zwei Einsätze pro Wintersaison an einem Event dabei und bleibe entsprechend drei bis fünf Tage von der Praxis weg. Es ist ein schöner Ausgleich zum Praxis- und Spitalalltag. Und zum Glück musste ich bislang keine schwereren Verletzungen bei den Skiprofis behandeln.

Kinderorthopädie am KSB

Haben Sie eine kinderorthopädische Frage, oder möchten Sie einen Termin (nur nach Überweisung durch Kinderarzt) vereinbaren? Melden Sie sich unter 056 486 37 53 oder kinderorthopaedie@ksb.ch

Zur Kinderorthopädie

Text: Vivien Wassermann • Geprüft von: Leonhard Ramseier, Kinderorthopäde

War diese Seite hilfreich?

Ja
Nein