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You’ll Never (Nordic) Walk Alone

8. Juli 2024

Einmal pro Woche treffen sich Patienten mit Herz- oder Gefässkrankheiten zum Nordic Walking auf dem KSB-Gelände. Denn zusammen trainiert’s sich leichter.

Sandro La Marca ist völlig aus der Puste. Er muss sich erst einmal hinsetzen und verschnaufen. Gerade ist er von der Bushaltestelle bis zum Haupteingang des Kantonsspitals Baden (KSB) gelaufen. Eigentlich ein kurzer Weg, der bloss ein, zwei Minuten dauert. Doch für La Marca war schon das eine Herausforderung. Vor knapp einem Monat hatte er einen Herzinfarkt. «Ich bin erst 43 Jahre alt», erzählt er, noch immer fassungslos. «Ich hätte nie gedacht, dass mir in diesem Alter so etwas passieren kann.»

Der Weg zum Spital wird für La Marca heute nicht die einzige Anstrengung bleiben. Es ist Freitagmorgen, 8 Uhr. Die Zeit, zu der sich immer die Nordic-Walking-Gruppe rund um den Physiotherapeuten Daniele Latassa trifft. Jede Woche geht er mit Patienten, die unter Herzproblemen oder Gefässkrankheiten leiden, in der Umgebung des Spitals laufen. Für sie ist das Nordic Walking Teil ihres Rehabilitationsprogramms.

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«Der Herzinfarkt war ein Warnschuss. Ich hatte zu viel Stress. Jetzt muss sich etwas ändern.»

Sandro La Marca

Teilnehmer

Am Treffpunkt im KSB-Empfangsbereich verteilt Latassa die Walking-Stöcke. Dann setzt er sich einen grossen, roten Rucksack auf: der Notfallrucksack, der nicht nur Pflaster und Traubenzucker enthält, sondern auch einen Defibrillator. Latassa musste ihn glücklicherweise noch nie einsetzen.

Sport bei Wind und Wetter

Draussen weht ein frischer Wind. Der Himmel ist grau und der Boden feucht, weil es in der Nacht geregnet hat. Bei fast jeder Witterung findet das Nordic Walking statt. «Nur wenn es wirklich zu stark stürmt, baue ich drinnen einen Parcours auf», erklärt Latassa, der seine Laufgruppe nun zum Pavillon im Park führt. Eine Kollegin und eine Studierende unterstützen ihn. «So können wir auf jeden Patienten eingehen», sagt der Physiotherapeut.

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Kreatives Aufwärmen: Physiotherapeut Daniele Latassa setzt die Nordic-Walking-Stöcke vielseitig ein.

Alle positionieren sich im Kreis: Aufwärmübungen. Besonders anstrengend ist es für die Patienten, 25-mal in die Hocke zu gehen. «Wem es zu viel wird, der macht eine Pause», sagt Latassa vor allem in Sandro La Marcas Richtung, denn er ist heute zum ersten Mal dabei. Diese Woche hat seine Reha begonnen. Ab sofort geht er dreimal pro Woche ins Fitnesscenter des KSB und freitags zum Nordic Walking. Der Herzinfarkt sei ein Warnschuss für ihn gewesen, sagt der Vater zweier Kinder, der im Aussendienst tätig ist: «Richtig abschalten konnte ich nie. Ich hatte zu viel Stress. Jetzt muss sich etwas ändern.»

Walking durch den Wald

Nach dem Aufwärmen setzt sich die Gruppe in Bewegung. Die Stöcke klappern, der Kies knirscht unter den Turnschuhen, und nach einer Weile, vor allem, als eine Steigung kommt, hört man die Teilnehmer schneller atmen. Latassa und seine Kolleginnen achten darauf, dass sich niemand übernimmt. Zwischendurch messen sie den Puls jedes Patienten, fragen ab, wie es geht. In der Reha sollen die Patienten nicht nur zu mehr Fitness finden, sondern auch wieder Vertrauen in den eigenen Körper gewinnen. Denn nach traumatischen Erlebnissen wie einem Infarkt ist dieses oft gestört.

«Sport ist besser als manche Pille»

Herr Latassa, auf wen ist das Nordic Walking am KSB zugeschnitten?

Auf Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen, also auf Patienten mit Herz- oder Gefässproblemen. 80 Prozent der Teilnehmer haben einen Herzinfarkt hinter sich. Viele leiden auch an PAVK, der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Diese wird umgangssprachlich «Schaufensterkrankheit» genannt, weil Betroffene wegen Schmerzen in den Beinen oft stehenbleiben müssen.

 

Nach einer Weile teilt sich die Gruppe. Sandro La Marca ist etwas langsamer unterwegs als die anderen. Walkend erzählt er, er sei fest entschlossen, sein Leben zu ändern. In Zukunft möchte er sich mehr bewegen und öfter «Nein» sagen – auch zum Essen. Eventuell wird er deshalb noch die Ernährungsberatung aufsuchen, die das Spital anbietet.

Verbesserte Ausdauer

Weiter vorne läuft Annie Imboden, deren Brille ein wenig beschlagen ist. Dass derzeit ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden muss, macht das Training für sie nicht leichter. Die 76-Jährige geht seit anderthalb Monaten zum Nordic Walking. Ihre Ausdauer hat sich bereits verbessert. Jahrelang hatte sie unter Atemproblemen gelitten, die sie aber «bloss für eine normale Alterserscheinung» hielt – bis sie plötzlich gar keine Luft mehr bekam und ihr Mann die Ambulanz rufen musste. Im Spital wurde festgestellt, dass die Herzkranzgefässe verengt sind. Notfallmässig setzte man ihr drei Stents, kurz darauf weitere drei.

Auch nach der Reha will Annie Imboden weiter in Bewegung bleiben, sich regelmässig mit Freundinnen zum Nordic Walking treffen. «In der Gruppe macht es mehr Spass. Es ist motivierender», findet sie.

Nach 50 Minuten kommen alle am KSB-Eingang wieder zusammen, notieren ihre Pulswerte und den Grad der Anstrengung, den sie jeweils verspürten. «Der Spruch ‹Sport ist Mord› stimmt also gar nicht», stellt Sandro La Marca abschliessend fest. «Genau! Das Gegenteil ist der Fall», pflichtet ihm Physiotherapeut Latassa bei. Alle schmunzeln, während sie ihre Stöcke zurückgeben; die werden jetzt desinfiziert.

Gemeinsames Nordic Walking


Text: Katja Schönherr • Fotos: Gian Marco Castelberg • Geprüft von: Daniele Latassa, Physiotherapeut

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