Zurück zur Startseite
Zurück zur Startseite

Grippe­impfung – ja oder nein?

2. Oktober 2024

Dr. Andrée Friedl, Leitende Ärztin Infektiologie/Spitalhygiene am KSB, erklärt im Interview, wer sich gegen die Grippe impfen lassen sollte, und warum die Grippe gefährlicher ist als viele Leute annehmen.

Frau Dr. Friedl, laut Studien lässt sich nur ein Drittel der Risikogruppen impfen. Wer sollte sich unbedingt gegen Grippe impfen lassen?

Zum einen die Menschen, die sich dringend aus eigenem Interesse impfen lassen sollten. Zum anderen aber auch diejenigen, die niemanden in ihrem Umfeld aus den Risikogruppen anstecken dürfen. Zu den Risikogruppen gehören über 65-Jährige, Schwangere, Frühgeborene, Personen mit chronischen Zusatzerkrankungen des Herzes, Diabetiker, Nieren- sowie Leberpatienten und Frauen, die in den vergangenen vier Wochen ein Kind bekommen haben. Auch Patienten, die eine Störung des Immunsystems haben, etwa wegen einer Chemotherapie oder einer Medikamenteneinnahme bei Rheuma, sollten sich unbedingt impfen lassen. Zudem empfehlen wir vor allem Familienmitgliedern sowie Personal von Spitälern und Pflegeheimen eine Grippeimpfung. So schützen sie die oben genannten Menschen.

Corona: Immer noch aktuell?

Die letzten Jahre hiess es, dass die Grippeimpfung wegen des Coronavirus noch wichtiger sei. 

Woran liegt es, dass sich nicht alle impfen lassen?

Eine kleine Gruppe lässt sich aus Prinzip gegen nichts impfen. Die ist aber nicht das Problem. Viele wissen gar nicht, dass sie geimpft werden sollten. Das ist vor allem bei den Senioren und den Schwangeren der Fall. Andere glauben nicht, dass eine Impfung etwas nützt.

Welche Argumente hören Sie in Ihrem Berufsalltag gegen eine Grippeimpfung?

Ich höre oft Patienten, die sagen: «Ich habe noch nie die Grippe gehabt, und deswegen brauche ich auch jetzt keine Impfung.» Sie schätzen die Grippe als nicht gefährlich genug ein. Häufig verstehen Menschen nicht, was eine Grippe bedeuten kann. Das hängt auch mit dem Begriff der Erkrankung zusammen. Wir sprechen zwar von Grippe, doch viele nutzen den Begriff bereits bei jeder stärkeren Erkältung. Deswegen bevorzuge ich den Begriff Influenza, wenn ich die echte Grippe meine.

Andrée_Friedl_0025588-050088_1.jpg

«Häufig verstehen Menschen nicht, was eine Grippe bedeuten kann.»

Dr. Andrée Friedl
Welches sind die Symptome einer echten Grippe?

Typisch ist das plötzliche Beginnen verschiedener stärkerer Symptome: Höheres Fieber, Frieren, Kopfschmerzen, Hals- und Schluckweh sowie Schwindel und Muskelschmerzen sind charakteristisch. Das kann dann alles recht lang andauern.

Wie ansteckend ist eine Grippe?

Sehr ansteckend, und das häufig schon, bevor die ersten Symptome auftreten. In den ersten sieben Tagen der Krankheit ist die Ansteckungsgefahr am höchsten. Mit dem Verlauf der Krankheit nimmt sie dann ab.

Welche fatalen und unterschätzten Folgen kann eine Influenza haben?

Eine echte Influenza verläuft deutlich schwerer und länger als eine Erkältung. Dieser Virus kann eine direkt darauffolgende Lungenentzündung verursachen oder die Herzfunktion stark angreifen. Die Influenza kann Hirn- und Mittelohrentzündungen begünstigen. Vor allem ältere Patienten brauchen sehr lange, um sich von einer Influenza zu erholen. Doch auch jüngere Menschen leiden an einer echten Grippe häufig einen Monat.

ksb-blog_grippeimpfung_ansteckung_content2.jpg
In den ersten sieben Tagen ist die Ansteckungsgefahr der Grippe am höchsten und nimmt dann mit dem Verlauf der Krankheit ab.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jährlich weltweit bis zu einer halben Million Menschen an der Grippe. In der Schweiz bedeutet das hunderte bis tausend Todesfälle pro Jahr.

Blickt man auf die Todesfälle, ist die Grippe sicherlich eine der gefährlicheren Erkrankungen. Auch wir am KSB haben jährlich Grippe-Todesfälle.

Kann man sich trotz Grippeimpfung mit einem Influenzavirus infizieren?


Man kann zwar noch eine Grippe bekommen, doch diese ist wesentlich schwächer und dauert nicht lange. Vor allem treten weniger Komplikationen wie Lungenentzündungen auf.

Man entnimmt den Medien manchmal, dass ein Grippeimpfstoff nicht immer passt. Woran liegt das?

Der Impfstoff muss sehr genau zugeschnitten sein, damit er wirkt. Doch Jahr für Jahr wandeln und verändern sich die Viren. So muss auch der Impfstoff immer weiter verändert werden. Daher kann es vereinzelt passieren, dass wir gegen etwas impfen, das so nicht im Umlauf ist. Das hat auch mit der frühzeitigen Herstellung des Grippeimpfstoffs zu tun. Denn bereits ein halbes Jahr vorher treffen sich internationale Gremien, um diesen aufgrund ihrer Forschung zu bestimmen. Man muss also weit im Voraus erkennen können, in welche Richtung sich der Virus in der kommenden Saison entwickelt. In der Regel funktioniert dies sehr gut.

Wann sollte man die Grippeimpfung am besten einplanen?

Meine Empfehlung lautet, sich im November gegen die Grippe impfen zu lassen. Frühestens Ende Oktober. Spätestens, wenn die Grippewelle voll im Rollen ist. Sie startet irgendwann zwischen Dezember und April. Optimal wäre es also, wenn man dann eine Wirkung der Impfung hat. Diese sollte aber auch nicht schon wieder abgeschwächt sein. Der Impfstoff wirkt höchstens bis zu sechs Monate.

Wann wirkt die Grippeimpfung?


Die Impfung wirkt nach zehn Tagen. Es braucht eine einzige Dosis pro Jahr.

Welche Nebenwirkungen kann die Grippeimpfung haben?


Hauptnebenwirkung der Grippeimpfung ist – wie bei jeder Impfung –, dass die Haut rund um die Einstichstelle ein wenig anschwillt und gerötet ist. Selten kommt es vor, dass sich der Geimpfte ein paar Tage etwas geschwächt fühlt. Auch ein Muskelkatergefühl im Oberarm kommt vor. Noch viel seltener tritt Fieber auf. Die Grippeimpfung löst jedoch auf keinen Fall eine Grippe oder Erkältung aus.

Warum glauben dies aber so viele Menschen?

Die Grippeimpfung ist ein sogenannter Totimpfstof. Sie kann somit keine Erkrankung nach sich ziehen. Wir impfen aber zu einem Zeitpunkt, an dem die ersten Erkältungen schon im Umlauf sind. Daher glauben viele, dass eine Erkrankung mit der Impfung zusammenhängt. Dies ist aber purer Zufall.

Inwiefern hat eine Grippeimpfung für Sie etwas mit Solidarität zu tun?

Gerade gegenüber den Patienten mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko haben gesunde Personen eine gewisse Verantwortung. Auch, weil die Grippeimpfung bei gesunden Personen besser wirkt als bei einigen der Risikogruppen. So wie sich Angehörige oder Pfleger in anderen Lebensbelangen um Risikogruppen kümmern, sollten sie es auch im Hinblick auf die Grippe machen und sich impfen lassen.

ksb-blog_grippeimpfung_virus_content3.jpg
Ein Grippevirus von Nahem. Die Ansteckungsgefahr löst sich durch die Impfung zwar nicht auf, wird aber wesentlich schwächer.
Inwiefern profitieren Nichtimpfer von einer hohen Durchimpfrate?

Wenn sehr viele Menschen geimpft sind, profitieren selbstverständlich auch die Nichtimpfer. Dies sind aber nicht nur Ablehner. Dazu gehören auch Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Dieser indirekte Schutz ist wichtig. Da wir allerdings den grössten Teil der Schweizer Bevölkerung nicht gegen Grippe impfen, gibt es keine konkreten Zahlen zum Erfolg einer hohen Durchimpfrate. In Japan zeigte eine Studie, in der auch die Kinder gegen Grippe geimpft wurden, dass wesentlich weniger Grosseltern hospitalisiert wurden.

Wäre das in der Schweiz denkbar?

Ich wäre schon froh, wenn sich alle gegen Grippe impfen liessen, die zu einer Risikogruppe gehören. Oder die im Alltag mit Risikogruppen zu tun haben. Die Zahl der Grippeansteckungen mit hohen Komplikationen und Todesfällen liesse sich so schon verringern. Doch auch in der Pflege ist da noch sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Immer mehr Unternehmungen bieten eine kostenlose Grippeimpfung während der Arbeitszeit an. Was halten Sie davon?

Uns geht es primär um die Impfung der Risikogruppen und derer, die mit ihnen im Kontakt stehen. Dennoch ist die Impfung gesunder Menschen eine sehr gute Sache. Für die Menschen selbst, ihre Arbeitgeber und natürlich im ÖV-Land Schweiz auch für die Gesellschaft – eine Win-win-Situation.

Infektiologie am KSB

Sind Sie unsicher, ob Sie sich impfen lassen sollen, etwa gegen Grippe, HPV oder FSME? Das Spezialistenteam des Bereich Infektiologie/Spitalhygiene berät Sie gerne.

Jetzt Termin vereinbaren

Text: Janine Radlingmayr/Julia Guran • Geprüft von: Andrée Friedl, Leitende Ärztin Infektiologie/Spitalhygiene und Dr. med. Benedikt Wiggli, Leitender Arzt Stv. Infektiologie/Spitalhygiene

War diese Seite hilfreich?

Ja
Nein