Wenn der Schmerz nicht mehr weggeht: Die Schmerzchronifizierung

Während die Schmerzen anfangs in der Regel lokalisiert im Bauch und nur während der Menstruation auftreten, kann es im Verlauf zu einer Schmerzausweitung kommen. Immer häufiger treten Schmerzen auch ausserhalb der Periodenblutung und manchmal sogar während des ganzen Zyklus auf. Einige Patientinnen leiden mit der Zeit unter Dauerschmerzen. Schmerzmittel nützen immer weniger oder gar nicht mehr.

Alltag, Schlaf und Beziehungen zu Mitmenschen werden beeinträchtigt: Es kommt zu Ausfällen in der Schule oder bei der Arbeit, die Hausarbeit kann nur noch mit Mühe oder nicht mehr erledigt werden. Die Schmerzen bestimmen den Alltag, und es kann zu sozialer Isolation und Stellenverlust kommen.

Wie kommt es dazu?

Verschiedene, sehr komplexe Vorgänge sind an einer Schmerzchronifizierung beteiligt: Im Folgenden wollen wir ihnen einen kleinen Einblick in die Welt der Schmerzmedizin vermitteln.

Zentrale Faktoren: Anders als gemeinhin angenommen, ist es nicht so, dass man sich an immer wieder auftretende Schmerzen „gewöhnt“ und somit mehr Schmerzen verträgt – im Gegenteil. In speziellen MRI-Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass bei Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, eine Veränderung der schmerzverarbeitenden Hirn- und Rückenmarksregionen stattfindet. Diesen Prozess nennt man zentrale Sensibilisierung.

Ein Schmerz (Dauerschmerz oder immer wieder auftretender Schmerz) wirkt über längere Zeit auf die schmerzverarbeitenden Hirnregionen ein
Zentrale Sensibilisierung: Es hat eine Veränderung der schmerzverarbeitenden Hirnregionen stattgefunden, der Schmerz hat sich verselbständigt: Obwohl die eigentliche Schmerzursache z.B durch eine Operation entfernt wurde, können die Schmerzen deshalb bestehen bleiben. Das Schmerzgedächtnis erinnert sich an den Schmerz.

Als Folge sinkt die Schmerzschwelle, und normale Reize, wie z.B. eine Darmbewegung, werden schon als Schmerzen wahrgenommen. Ausserdem wird Schmerz allgemein, auch an anderen Körperstellen, zunehmend stärker empfunden.

Angst spielt beim Vorgang der Schmerzchronifizierung eine wichtige Rolle als Schmerzverstärker. Frauen mit Endometriose berichten oft, Angst zu haben, dass

  • die Ursache für die Schmerzen etwas Schlimmes sein könnte
  • sie den Partner, die Arbeit verlieren könnten
  • sie keine Kinder haben können
  • man sie wieder nicht ernst nimmt
  • sie bei Vorgesetzten und Arbeitskollegen auf Unverständnis stossen, wenn sie bei der Arbeit schon wieder ausfallen
  • sie den Schmerzen hilflos ausgeliefert sind, wenn die Medikamente nichts mehr bringen
  • dass die Krankheit wiederkommt
  • weitere Operationen nötig werden

Ausserdem können auch frühere, belastende Erlebnisse das Schmerzerleben beeinflussen.

Durch eine multimodale Therapie (=Kombination verschiedener Therapieansätze) kann eine zentrale Sensibilisierung zumindest teilweise, manchmal auch vollständig rückgängig gemacht werden. Dies braucht oft viel Zeit, Geduld, und vor allem auch ein aktives Mitarbeiten auf Seiten der Patientin. Je früher man mit der Therapie beginnt, desto besser ist die Erfolgsaussicht.

Humor und gemeinsames Lachen helfen oft

Auf lokaler Ebene (im Bauchraum) können weitere Faktoren zur Schmerz-Chronifizierung beitragen:

  • Durch die Endometrioseherde werden verschiedene Stoffe produziert, welche zu einem chronischen Entzündungszustand im Bauchraum führen: Schmerzleitende Nervenfasern werden dadurch aktiviert und überempfindlich.
  • Endometrioseherde können in Nerven einwachsen oder auch Druck auf Nerven ausüben. Endometriose produziert Stoffe, welche das Nervenwachstum anregen, so dass Nerven in die Herde einsprossen. Besonders viele solcher Nervenfasern findet man in Herden der tief infiltrierenden Endometriose.
  • Durch die über längere Zeit bestehenden Schmerzen kommt es zu starken Verspannungen in der Bauch-, Becken- und Rückenmuskulatur mit Bildung von Triggerpunkten (=Muskelverhärtungen, welche sehr druckempfindlich sind). Wenn diese aktiviert werden, können sie Schmerzen an anderen Stellen, z.B. im Bauch, auslösen.
  • Körperliche Schonung aufgrund der Schmerzen führt zu fehlender Stabilität in der Bauch- und Rückenmuskulatur, zu Fehlhaltungen und einem muskulären Ungleichgewicht. Diese myofaszialen Schmerzfaktoren (die Muskeln und die Faszien = Muskelhäute betreffend) können dazu beitragen, dass nach einer Operation Schmerzen bestehen bleiben, obwohl sämtliche Endometrioseherde entfernt wurden.

Das weibliche Hormon Oestrogen scheint sowohl lokal als auch zentral die Schmerzwahrnehmung zu steigern und das Übermitteln von Schmerzreizen zu erleichtern.