Aktive Überwachung

Aktive Überwachung - Active Surveillance

Das Prostatakarzinom ist der häufigste Krebs beim Mann. Bei jedem sechsten Mann über 50 wird ein Prostatakarzinom diagnostiziert, aber nur jeder 33. stirbt tatsächlich daran. Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass Prostatatumore immer durch eine zeitnahe Entfernung des Organs oder durch Bestrahlung behandelt werden müssten.

Neueste Daten zeigen aber, dass bis zu 30% der radikal prostatektomierten (operierten) Patienten dadurch nicht geheilt werden. Auf der anderen Seite haben viele Patienten Karzinome, die sich nie zu einer klinisch bedeutsamen Erkrankung weiterentwickeln, d.h. für sie wäre eine aktive Therapie eine Überbehandlung.

Operation und Bestrahlung können in gewissen Fällen mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein. Neben den allgemeinen Risiken einer Operation respektive einer Narkose sind vor allem Inkontinenz und Impotenz zu nennen. Die Bestrahlung kann Reizzustände in Blase und Darm sowie Blutungen hervorrufen. Hohe Behandlungsdosen sind effektiver bei der Bekämpfung des Tumors aber rufen auch mehr Nebenwirkungen hervor.

Mit besseren Untersuchungsmethoden wird das Prostatakarzinom in seiner Entwicklung in immer früheren Stadien entdeckt. Oft handelt es sich dann um Krebs mit „niedrigem Risiko für Progression“. Die meisten Leitlinien stützen sich in ihren Empfehlungen auf die „D’Amico Klassifikation“. Dort gibt es eine niedrig Risiko Gruppe mit den Kriterien: PSA < 10 ng/ml, klinisches Tumorstadium T1c bis T2a, Gleason-Score ≤ 6. Diese asymptomatischen Karzinome können jahrelang stabil sein. Würden diese „low risk Patienten“ alle aktiv therapiert , würden viele von ihnen überbehandelt. Dies war jedoch an vielen Kliniken noch vor wenigen Jahren Standard. Einige dieser Männder nehmen also das Risiko von Nebenwirkungen in Kauf ohne eigentlichen onkologischen Benefit.

Active Surveillance

Um diesen Missstand zu korrigieren, wurde die sogenannte „Active Surveillance“ (AS) Strategie entwickelt (Gruppe um L. Klotz in Toronto). Sie ist inzwischen eine anerkannte therapeutische Option beim niedrigmalignen, kleinherdigen Prostatakarzinom. Das Prinzip besteht darin Patienten regelmässig zu kontrollieren und nur dann in kurativer Absicht zu therapieren (OP od. Bestrahlung) wenn tatsächlich eine Progression auftritt.

Die klinische Klassifikation „geeignet für Active Surveillance“ beruht nicht auf harten Fakten sondern auf klinischen Erfahrungswerten. Dies erfordert eine genaue Beobachtung, was nur mit engmaschigen Kontrolle möglich ist. Falls nämlich eine Progression auftritt, können diese Männer mit einer Operation oder Bestrahlung in der Regel immer noch geheilt werden. Es geht also darum, dass das „window for cure“ nicht verpasst wird.

Genau aus diesem Zeitfenster ergibt sich eine hohe Verantwortlichkeit für den Arzt aber auch Eigenverantwortung für den Patienten. Noch gibt es keine Möglichkeit festzustellen, welche von ihnen ruhig bleiben werden. In diesem Zusammenhang erlangt das MRI und die gezielte Fusionsbiopsie der Prostata zunehmend an Bedeutung. Auch hier gehört das Kantonsspital Baden in der Schweiz zu den Pionieren (siehe Artemis Fusionsbiopsie der Prostata). Weitere diagnostische Fortschritte erwarten wir von molekularbiologischen Tests.

Active Surveillance am KSB

Die Aktive Überwachung ist ein relativ neues Behandlungsverfahren. Langzeitergebnisse liegen nur spärlich vor, und sie stammen ausschliesslich aus grossen universitären Institutionen, die einzeln oder im Verbund (Multizenterstudie) arbeiten. Am KSB wurde der erste Patient bereits vor 17 Jahren nach dem AS Prinzip betreut. Zu jenem Zeitpunkt gab es noch keine Publikationen zu diesem Therapieansatz. Dieser Schritt war logische Konsequenz kritischer Selbstkontrolle und wie sich rasch zeigen sollte ein klar vertretbares Vorgehen. Inzwischen verfügt das KSB mit von den besten Langzeitdaten im weltweiten Vergleich. Die KSB-Daten wurden an allen wichtigen Urologie Kongressen vorgestellt (AUA, EAU, DGU) und publiziert (Hefermehl L. Disteldorf D, Lehmann Kurt; Acknowledging unreported problems with active surveillance for prostate cancer: a prospective single-centre observational study ; BMJ open Feb 2016).

KSB Teil der grössten Multizenterstudie GAP3

Das Kantonsspital Baden gehört als eine der wenigen europäischen Kliniken (und einzige Klinik der Schweiz) zur weltweit grössten Multizentersturie GAP3 (Global Action Plan Acitive Surveillance), welche von der Movember Foundation unterstützt wird.

Studienresultate

Die Studie zeigte ein gutes Outcome für Patienten, die sich an das Vorgesehene Protokoll hielten. Es wurden Daten von 157 Patienten zwischen 1999 und 2013 ausgewertet. Die Kaplan-Meier Analysen nach 13 Jahren ergaben eine Progressionswahrscheinlichkeit von 28 %, ein progressionsfreies Überleben von 98 % und ein Gesamtüberleben von 94 %. Nach 13 Jahren befanden sich noch 50 % der Männer in der AS. Bei 20 % kam es nach einem follow-up von 26 Monaten zu einer Progression. Diese Patienten wurden mit radikaler Prostatektomie oder Radiotherapie behandelt – praktisch alle kurativ.

Wir schlussfolgern daraus, dass die Active Surveillance im Prinzip eine gute und sichere Methode ist. Wir stellten jedoch fest, dass eine signifikante Anzahl von Patienten im Verlauf der Zeit nicht mehr zu den Kontrollterminen erscheint, auch wenn wir sie wiederholt versuchen aufzubieten. Schon drei Monate nach der Diagnosestellung nämlich, verweigerten 19 % der Männer die vereinbarte Kontrollbiopsie, die der Bestätigung der initialen Tumor-Klassifizierung diente.

Von den insgesamt geplanten 1891 PSA-Messungen wurden 40 % verpasst. Insgesamt gingen 27 % der Männer verloren. Die genauen Gründe hierfür sind nicht bekannt. Viele dieser Patienten empfinden die häufigen Kontrollen als lästig, andere verdrängen vielleicht das Risiko. Die Studie konnte zeigen, dass die Patienten-Compliance ein enorm wichtiger Faktor ist. Für uns Urologen aber auch für die mitbetreuuenden Hausärzte gilt es in Zukunft diesen Faktor vermehrt zu berücksichtigen wenn es darum geht Patienten für eine Active Surveillance auszuwählen und zu kontrollieren.


Begriffserklärung Aktive Überwachung

Die Aktive Überwachung ist eine Therapiestrategie mit heilender Absicht. Bei einem sehr kleinen und nicht aggressiven Prostatakrebs erfolgt primär keine Behandlung - aber es erfolgt eine Überwachung (Active Surveillance = Aktive Überwachung. Diese Überwachung ist das wichtigste Element dieser Strategie und beinhaltet eine Kontrolle mit Blutentnahme (PSA) alle 6 Monate und eine geplante Prostatabiopsie (Gewebeprobe) alle zwei Jahre. Sollte sich im Verlauf zeigen, dass der Tumor doch grösser oder aggressiver wird, kann der Patient einer Therapie wie Operation, Bestrahlung oder fokaler Therapie (HIFU) zugeführt werden. Diese Behandlung erfolgt in der Regel rechtzeitig, das heisst der Mann ist in der Regel nach der Behandlung geheilt.

Wichtig ist die Unterscheidung zum sog. "Whatchfull Waiting".

Whatchful waiting ist nicht Active Surveillance

"Whatchful waiting" ist nicht Active Surveillance: „Whatchful Waiting“ ist eine abwartende Strategie ohne kurative (heilende) Absicht, bei der es ausschliesslich um symptomatische Therapie geht.